STIMMEN AUS DEN VERBÄNDEN

Interview von Rosa Jellinek

AVIVA (22, MÜNCHEN)

„Mein Kopf ist dort noch in der Vergangenheit. Mein Körper ist hier und dann ist das so, dass ich zum Beispiel aufwache und einfach nicht verstehe, wo ich gerade wirklich bin. Ich habe einen Monat lang komplett Pause gemacht. Ich bin nicht in die Uni gegangen. Ich habe mehr meine Rolle darin gesehen, für die jüdische Community da zu sein. Und ich war wirklich so oft beim Verband Jüdischer Studierender Baden aktiv, wirklich jeden Tag war ich mit Aktivismus beschäftigt. 

Viele jüdische Menschen haben Angst, vor allem vor lauten Geräuschen. Und wenn ich an der Uni war, hab ich wirklich immer um mich geschaut, beispielsweise, wenn irgendwo ein Gegenstand laut umgefallen ist. Diese Geräusche haben mich immer superbedrückt. Wenn ich in der Uni war, hieß es für mich: Okay, ich muss einfach hin für den Check, das erledigen und diese Klausurenphase hinter mich bringen, weniger für das Gefühl, Spaß daran zu haben, in die Uni zu gehen.“

ELISHEVAH (24, STUTTGART) 

„Ich würde nicht sagen, ich fühle mich als Jüdin in Stuttgart direkt unsicher oder direkt sicher, ich bin einfach lieber vorsichtig, weil ich nicht weiß, wer mir über den Weg läuft. Jüdische Symbole versuche ich so gut wie möglich zu verstecken. Als ich auf dem Schlossplatz in Stuttgart Hanukkah Kerzen gezündet habe, habe ich meine Mütze aufgezogen, damit mein Gesicht nicht sofort erkennbar ist. 

Ich habe einen Freund, das ist eine sehr weirde, aber glückliche Kombination, tatsächlich ist er Chinese und China stellt sich aktuell eher pro palästinensisch auf. Es wurden auch chinesische Staatsbürger*innen als Geiseln genommen und die Reaktion der chinesischen Öffentlichkeit war: „Das geschieht denen Recht” und haben die Personen ausgelacht. Ich habe Glück gehabt, seit dem siebten Oktober meldet sich die Mutter von meinem Freund immer wieder und fragt: „Wie geht’s ihr?” 

Dadurch, dass ich in der bildungspolitischen Projektarbeit tätig bin, liegt mein Fokus darauf. Yad be yad läuft jetzt leider Ende Mai aus. Dieses Projekt war vorher schon wichtig, aber jetzt mit dem Konflikt noch mal wichtiger. Weil es genau gegen Antisemitismus und anti- muslimischen Rassismus an Schulen vorgeht.“

SIMA (25, ESSEN)

„Ich habe sehr schnell gemerkt, dass die Leute an meiner neuen Uni ganz andere Lebensrealitäten haben. Viele bekommen gar nicht so viel mit, was in der Welt passiert. Ich habe viele jüdische Freunde und bin mit vielen Leuten in Israel in Kontakt, weil ich dort gelebt habe. Es gab viele, die sich nicht melden konnten, weil sie in Bunkern saßen oder in die Armee eingezogen worden sind. Es war schlimm, manchmal wusste man gar nicht, wo sie sind. Und als ich mal an der Universität etwas über mein Auslandssemester in Israel erzählt habe, kam zunächst keine Reaktion. Ich sagte dann „Ja, da ist jetzt Krieg” und als Antwort kam
„Oh, was, wirklich?”. Für mich war das so super unverständlich.

Ich bin in NRW sehr aktiv und gut vernetzt. Von einem Tag auf den anderen haben sich sehr viele Leute engagiert und haben bei Kundgebungen geholfen. In den ganzen Unigruppen ging es um den Kampf gegen Antisemitismus und Israel-Feindlichkeit, Rektoren, denen man sich entgegenstellen musste. Es gab einige Studierende, die sich nicht an die Uni getraut haben, also haben wir Räume geschaffen und überlegt, wie man mit der aktuellen Situation umgeht. Alle unsere Veranstaltungen mussten wir absagen und Sicherheitskonzepte überlegen, wie wir sie überhaupt umsetzen können.“ 

NAOMI (20, DÜSSELDORF) 

Ich habe wirklich Kommilitonen*innen, die immer noch nicht mit mir reden. Die meisten gehen mir aus dem Weg, es gibt mehrere Leute, die mir entfolgt sind oder immer wieder fragwürdige Sachen posten. Wenn es etwas gibt, was man gar nicht tolerieren kann, dann schreibe ich die Leute an. Es wird immer wieder nach doppelten Standards gemessen. Und das Problem ist, dass diese Person eigentlich gar keine Ahnung hat und trotzdem solche Beiträge postet. Aber ich kann das schlecht kritisieren, weil wir Sozialwissenschaften studieren und die Leuten dann sagen: „Ich habe was gelesen, ich bin doch informiert.“ 

Ich hatte auch schon mehrmals Momente, in denen ich in Kurse reingehen musste und mir dachte:
„In diesen Kurs möchte ich jetzt nicht reingehen”, weil ich wusste, da sind mehrere Leute, die nicht mit mir reden. Außerdem gab es Graffitis an der Uni, es haben sich Leute sehr beschwert, sodass diese entfernt wurden. Die Lage ist schon ein bisschen schwierig, es ist definitiv einiges passiert an der Uni, von dem noch nicht alles rausgekommen ist. 

Der 7. Oktober kam und gleichzeitig fing die Uni an. Es ging alles so schnell und es gab keine Zeit, um alles zu verarbeiten. Es überkam uns alle wie ein Tsunami, das Wasser ging zurück und dann fiel alles über uns. Überall, auch in der Diaspora.“


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