#METOO UNLESS YOU’RE A JEW

Esti Rubens,
“May’im Chaim”, “Kol Achotenu”

Vor einiger Zeit gründeten einige Frauen mit mir zusammen einen Verein, der sich für die Gleichberechtigung jüdischer Frauen einsetzt. Bei Kol Achotenu haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, die Stimmen und Perspektiven jüdischer Frauen sichtbarer zu machen. Ein wesentlicher Teil unserer Arbeit besteht darin, uns mit sexualisierter Gewalt und Gewalt gegen Frauen auseinanderzusetzen. In meinem Alltag beschäftige ich mich mit diesem Thema und mit damit zusammenhängenden Fällen. Ich bemühe mich, Betroffene zu unterstützen, wo ich kann, und ihre Geschichten ans Licht zu bringen. Man kann sich wahrscheinlich denken, wie viel ich gesehen und gehört habe. So dachte ich, dass mich nichts mehr erschrecken könnte. Dann kam aber der 7. Oktober. 

Sexualisierte Gewalt gegen Frauen ist ein altbekanntes Kriegsinstrument, das schon seit jeher als Waffe eingesetzt wird. Als ich also nach Simchat Tora mein Handy anschaltete und sah, was geschehen war, verstand ich sofort, worum es ging. Videos israelischer Frauen mit 

blutbeschmierten Hosen und unter anderem der halb nackte Körper Shani Louks kursierten in diesen ersten Stunden im Netz. Der 7. Oktober war ein existenzieller Schock. Ich schwankte zwischen Panik und Starre, und tausend Gedanken wirbelten in meinem Kopf herum. Was ich jedoch nicht erwartet hatte, was ich mir nicht hätte vorstellen können, war die Reaktion bzw. die Nichtreaktion von Feministinnen, Frauen- und Menschenrechtsorganisationen. Ich wusste, der Antisemitismus in Deutschland würde exponentiell zunehmen. Schließlich passiert genau das jedes Mal, wenn sich der Nahost-Konflikt zuspitzt. Doch bei all dem (sehr expliziten) Foto- und Videomaterial, das überall im Internet zu sehen war, habe ich nicht erwartet, dass dieses Ausmaß sexualisierter Gewalt noch von irgendjemanden ignoriert, relativiert oder geleugnet werden könnte. 

War ich also naiv? Wahrscheinlich. Denn in einem antisemitischen Weltbild können Juden und Jüdinnen ja bekanntlich gar keine Opfer sein. Die Täter-Opfer-Umkehr hätte mich allerdings nicht so überrascht, wenn sie nicht von Personen gekommen wäre, die sich (zu Recht) mit vollem Herzen dafür einsetzen, dass man Betroffenen nach Übergriffen glaubt. 

Historisch haben jüdische Frauen die feministischen Bewegungen maßgeblich geprägt. Ich wage zu sagen, dass wir ein integraler Bestandteil dieser gewesen sind. Die feministische Bewegung wird wahrscheinlich nie wieder das für uns sein, was sie einst war. Jedoch bedeutet das nicht, dass wir als jüdische Frauen aufhören, für unsere Rechte einzustehen. Wir machen weiter, und zwar stärker als je zuvor. 


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