SCHRUMPFENDE RÄUME

Schrumpfende Räume als „Preis” – Hashomer Hatzair 

Nitzan Menagem (Hashomer Hatzair Deutschland, ELES-Stipendiatin Global Jewish Leadership Programme) 

Das sollten die „glory days“ der Jugendbewegung Hashomer Hatzair DE (HHD) werden. Jedes Jahr vergibt das Auswärtige Amt den Shimon-Peres-Preis an Innovationsprojekte zwischen Deutschland und Israel. Jetzt würdigt der Preis nicht nur die harte Arbeit der Dutzenden von Freiwilligen, Juden und Jüdinnen wie Nicht Juden und Jüdinnen, sondern macht zudem das Wirken einer vergessenen jüdischen Jugendbewegung sichtbar, deren Mitglieder in weiten Teilen in den späteren Staat Israel geflohen und ihr Leben in Deutschland, ihre Familien und schließlich alle Spuren ihrer Zeit hier zurückgelassen hatten. 

Was wir statt der „glory days“ bekamen, waren Räume, die zunehmend 

verschwinden: Der alt-neue Jugendverband, der 2022 als erster und einziger jüdischer Jugendverband dem Berliner Landesjugendring beigetreten ist, kann sich seit dem 7. Oktober nicht mehr ohne Sicherheitsdienst treffen. Dies bindet große Ressourcen der Organisation und stellt eine große Herausforderung dar. Kein anderer Jugendverband steht vor einer solchen Herausforderung. Für die Existenz und das Wachstum dieser wiedergegründeten Community ist dies ein schwer überwindbares Hindernis. Das ist Berlin 2024. 

In den 1930er-Jahren hatten die Mitglieder von Hashomer Hatzair keine andere Wahl, als sich am Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu beteiligen. Die kritische Auseinandersetzung mit der Realität, in der sie aufgewachsen waren, und die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die es ihnen ermöglichte, das Erlebte zu reflektieren und zu analysieren, machten diesen Widerstand unumgänglich. Sie schlossen sich dabei linken Widerstandskoalitionen an. 

Nach dem Holocaust und der Staatsgründung Israels entschied der Verband, die „Kenim“, die Ortsgruppen in anderen Ländern wieder aufzubauen – nicht aber im Land der Täter. Diese Entscheidung hatte zwangsläufig Auswirkungen darauf, wie in Deutschland des Widerstands (nicht) gedacht wird und wie die jüdische Gemeinschaft seit der Nachkriegszeit bis heute agiert. 

Nun wurden wir als neue Generation des HHD mit einer Auszeichnung geehrt. Wir sollten sie im Oktober 2023 in einer feierlichen Zeremonie im Roten Rathaus in Berlin erhalten. So sehr wir uns über diese Auszeichnung freuen, sind wir durch das Trauma und die Folgen des 7. Oktober sowie durch den gegenwärtigen Krieg belastet. 

Angesichts unserer verschwindenden Räume erleben wir dieses unbegreifliche Ereignis nicht nur als Trauma der schmerzlichen Anteilnahme mit den Opfern des 7. Oktober, ihren Angehörigen und der jüdischen Community in Israel, sondern als unsere Realität als Jugendbewegung in Deutschland, die in ihrer Sicherheit und Existenz gefährdet ist. Auch der Staat Israel als ideeller Zufluchtsort fühlt sich jetzt noch weiter weg und unsicher an. In gewisser Weise fühlt sich kein Ort mehr sicher an, außer wenn wir zusammen sind und zusammenhalten. 

Es ist daher an der Zeit, dass sich Juden und Jüdinnen in Deutschland in der neuen Realität seit dem 7. Oktober besser organisieren. Die Antwort ist nicht, sich zu passivieren oder gar Schulter an Schulter mit den Rechten zu stehen, sondern eine neue Art des Zusammenhalts und eine neue Art der Solidarität mit den trauernden und verlassenen Menschen in Israel – und Palästina – anzubieten. Wir müssen uns als junge Juden und Jüdinnen in der deutschen Gesellschaft in dieser schmerzhaften Auseinandersetzung gegenseitig unterstützen und zusammenschließen. Dabei müssen wir gemeinsam dem Antisemitismus als altem Übel entgegentreten, aber auch dem gefährlichen System der Spaltung, der Ausbeutung und der 

Machtkonzentration, das uns in unserer Freiheit, in unserem Frieden und in unserem Leben begrenzt. Wir können uns die Umstände nicht aussuchen, aber wir müssen beginnen, ihnen entgegenzutreten. 


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