Daria Razumovych
Diese Frage haben wir jüdischen Persönlichkeiten aus der Kunst-, Musik- und Literaturszene gestellt und versucht einen Konsens zu finden, wo es im Grunde keinen geben kann.
Um dieser Frage nachzugehen, müsste zunächst der Begriff der Identität geklärt werden. Und hier schon stehen wir vor der ersten Herausforderung, denn dieser Terminus taucht bereits in der Antike auf und wird über die Jahrhunderte zum breitest diskutierten Konstrukt in den
Sozialwissenschaften. Dennoch bleiben viele Fragen bis heute unbeantwortet: Wie vollziehen sich Identitätsprozesse? Haben Menschen eine oder multiple Identitäten? Ist Identität etwas Persönliches oder Kollektives? Ist sie fest konstruiert oder im ständigen Fluss? Das zeigt uns zum einen, dass Identität ein populäres, aber schwieriges Konzept ist, zum anderen aber auch, dass sie außerhalb der Wissenschaft in allen möglichen Lebensbereichen eine Rolle spielt: den alltäglichen, politischen sowie künstlerischen Debatten. So sind auch die von uns interviewten Personen in allen Bereichen der Kulturszene vertreten: Es handelt sich um Schauspieler, Autoren, Musiker, Songwriter und Entertainer.
Die jüdische Identität ist eine, die besonders emotional aufgeladen ist. Geschichtlich gesehen gab es mehr als genug Anlässe, sich ihrer zu verweigern, aber deswegen vielleicht umso mehr Gründe, sich damit zu identifizieren. Diese Kontradiktion spiegelt die Schwierigkeit wider, jüdische Identität fassbar zu machen, weil sie sowohl national als auch religiös oder individuell verankert sein kann. So vielfältig der Begriff der Identität auch ausgelegt werden mag, waren auch die Antworten, die wir auf unsere Frage erhalten haben.
Alon Sariel
37 Jahre, israelischer Mandolinen-Spieler, Lauten-Spieler und Dirigent
„Bei meiner Berufswahl hat meine Identität keine Rolle gespielt. Mit 16 wurde mir klarer, dass ich auch beruflich Musiker werden will, das hatte aber mit meiner jüdischen Identität nichts zu tun. Im Gegenteil: Ich war in einer religiösen Schule und mochte es nicht immer. Ich war nicht ganz konform mit dem System. Die Kunst und die Musik waren wahrscheinlich ein Gegenpol für mich. Vielleicht hat die Kunstwelt mich sogar herausgetrieben aus Israel, weg von meiner Identität. Auf ganz natürliche Weise haben aber die jüdischen Themen, mit denen mein musikalisches Schaffen heute zu tun hat, mich wieder eingeholt. Heute ist meine Identität prägend und wichtig für die Themenwahl meiner Arbeit und als selbstständiger Solokünstler bin ich glücklicherweise in der privilegierten Position, sie selbst zu selektieren.“
Diana Goldberg
28 Jahre, Musikerin
„Bei meiner Berufswahl hat meine Identität keine Rolle gespielt. Mit 16 wurde mir klarer, dass ich auch beruflich Musiker werden will, das hatte aber mit meiner jüdischen Identität nichts zu tun. Im Gegenteil: Ich war in einer religiösen Schule und mochte es nicht immer. Ich war nicht ganz konform mit dem System. Die Kunst und die Musik waren wahrscheinlich ein Gegenpol für mich. Vielleicht hat die Kunstwelt mich sogar herausgetrieben aus Israel, weg von meiner Identität. Auf ganz natürliche Weise haben aber die jüdischen Themen, mit denen mein musikalisches Schaffen heute zu tun hat, mich wieder eingeholt. Heute ist meine Identität prägend und wichtig für die Themenwahl meiner Arbeit und als selbstständiger Solokünstler bin ich glücklicherweise in der privilegierten Position, sie selbst zu selektieren.“
Andrej Agranovski
27 Jahre, Schauspieler
„In meiner Arbeit als jüdischer Schauspieler – als jemand, der ständig auf der Bühne oder vor der Kamera verschiedenste Lebensrealitäten darstellt – beeinflusst mich meine jüdische Identität enorm. Vor allem in Deutschland wird sie oft als etwas Homogenes, Eindeutiges und deswegen auch etwas Fremdes dargestellt. In Bildungseinrichtungen sowie in den Medien wird sie mit Bildern von außen so behaftet, dass ein Individuum gar nicht mehr erkennbar sein kann. Wir müssen anfangen, die Verantwortung für eine Sichtbarkeit zu übernehmen. Eine Sichtbarkeit nämlich, die nicht auf Stereotypen, Klischees und gesellschaftlich und geschichtlich vorgegebenen Bildern basiert, sondern auf der wundervollen realen Vielfalt außerhalb einer deutschen Mehrheitsgesellschaft.“
Benjamin Poliak
24 Jahre, Poetry-Slammer, Stand-up-Comedian
„Meine jüdische Identität beeinflusst mein künstlerisches Schaffen in der Wahl von Themen, über die ich schreibe und erzähle, sowie in der Herangehensweise und der Perspektive, die ich einnehme.“
Garry Fischmann
32 Jahre, Schauspieler, Sprecher
„Mein letztes großes Filmprojekt startete eine Woche nach Kriegsausbruch. In diesem Film spielte ich die Hauptrolle. Einen modernen, charmanten Rabbiner, der gerne auch mal austeilt. An meinem ersten Drehtag wurde zu Gewalt gegen Juden weltweit aufgerufen. Klar hatte ich da Respekt, zur Arbeit zu gehen. Aber auf der anderen Seite war das die erste Möglichkeit für mich, einem breiten Fernsehpublikum unsere Kultur näherzubringen. Modernes, authentisches jüdisches Leben in Deutschland. Ich durfte zum ersten Mal spielen, was ich wirklich bin. Auch textlich und inhaltlich konnte ich viel mitgestalten. Das war großartig und wird hoffentlich dieses Jahr noch ausgestrahlt.“
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