Antonia Sternberger ist 25 Jahre alt und hat Rechtswissenschaft an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn studiert. Seit Mai 2024 ist sie Redaktionsmitglied bei EDA und als Autorin und Lektorin für das Magazin tätig.
Ein Portrait der Jüdischen Hochschulgruppe Bonn
Unruhige und strapaziöse Monate liegen hinter der Jüdischen Hochschulgruppe Bonn und es dauerte eine Weile bis ein Gespräch mit ihrer Vorsitzenden Elis Marder zustande kommt, die eben nicht nur versucht die Gruppe zu leiten, sondern auch zeitgleich Jura zu studieren und zu arbeiten. Sie ist vielbeschäftigt, aber begrüßt mich mit der für sie typischen Offenheit und Freude in ihrer Stimme. So berichtet mir Elis von den Anfängen der JHG und von ihrer Wiederbelebung. Es habe die JHG schon mal gegeben in Bonn, erzählt sie mir. Geleitet und ins Leben gerufen vom damaligen Vorsitzenden Daniel Dejcmann. Doch die Corona-Pandemie brachte nicht nur die Welt, sondern nach dem Ausscheiden Dejcmanns auch die Jüdische Hochschulgruppe zum Erliegen. Es sollte weitere drei Jahre dauern, bis Elis ihr am 23.04.2023 gemeinsam mit jüdischen Kommilitonen und Kommilitonen mit Bezug zum Judentum neues Leben einhauchte. Doch der Anfang war wie so oft schwer. Elis erzählt mir, wie kompliziert es war sich zu etablieren – sei es als vollwertige Hochschulgruppe ernst genommen und anerkannt zu werden oder Kontakte zum Asta und Rektor der Universität Bonn zu knüpfen. Man setzte sich jedoch durch, so dass man sich beim ersten „Get together“ bei Mr. & Mrs. Hummus nicht nur kennenlernte, sondern auch Veranstaltungen für das Wintersemester plante. Endlich gab es wieder eine Anlaufstelle für jüdische Studentinnen und Studenten, aber eben auch für Menschen mit Interesse oder Bezug zum Judentum. Das war auch die Vision von Elis.
Doch es kam anders. Das Semester, das der JHG die Chance hätte geben sollen sich zu etablieren, Veranstaltungen abzuhalten, Schabbat zu begehen und jungem jüdischen Leben in Bonn ein Gesicht zu verleihen, konnte sich gar nicht vor Elis und den Mitgliedern der Jüdischen Hochschulgruppe entfalten. Es kam zur Zäsur. Der 07. Oktober 2023 änderte alles. Für Elis. Für jüdische Studenten und Studentinnen. Für israelische Masterstudentinnen- und Studenten.
Mit dem 07. Oktober war die JHG nicht mehr nur Hochschulgruppe und Interessenvertretung, sondern vor allen Dingen eine Anlaufstelle für all` diejenigen, die sich ratlos, hoffnungslos und verängstigt fühlten. Die geplanten Veranstaltungen wurden zunächst abgesagt oder verschoben. An ihre Stelle traten Demonstrationen, um an die 1700 grausam Ermordeten und an die Geiseln zu erinnern und um sich solidarisch mit dem Staat Israel zu zeigen. Als Elis vom 07. Oktober und alles was danach kam, beginnt zu erzählen, hört man ihr an wie sehr die Ereignisse dieses Tages und der darauffolgenden Monate an ihr zehren. Dennoch erzählt sie mir stolz, wie die JHG gemeinsam mit der DIG in Bonn am 15. Oktober eine Demonstration organisierte, zu der 650 Teilnehmer und Teilnehmerinnen kamen um sich solidarisch zu zeigen. Vielleicht war es auch dieser Anblick der Elis und den restlichen Vorstand der JHG darin bestärkte alles zu versuchen und die eigentliche Version der JHG als Ort der Freude, Zuversicht und jüdischen Lebens aufrecht zu erhalten. So konnte dann doch ein Schabbat unter dem Motto „Jewish Lifestyle, say what?“ abgehalten werden – für den Vorstand ein Weg etwas Ruhe in die seit dem 07. Oktober angespannte und zerrissene Hochschulgruppe zu bringen. „Wir konnten gemeinsam mit ca. 60 Menschen Schabbat begehen. Jede:r der oder die wollte, konnte frei seine Sorgen und Ängste äußern und dieser Abend hat alle Mitglieder doch wieder etwas näher zusammenrücken lassen.“ Elis wird etwas stiller als sie hinzufügt: „Aber auch an diesem Abend standen vor dem Haus vier Polizeiwägen. Wir feierten Schabbat, spendeten uns gegenseitig Zuversicht und Hoffnung und standen dabei unter Polizeischutz.“
In den Wochen danach wird die JHG zu einer Anlaufstelle für Studentinnen und Studenten, die sich mit der Situation alleine gelassen und Antisemitismus ausgesetzt fühlen. Elis erzählt mir, dass sie deshalb seit dem 07. Oktober eigentlich kaum zum Studieren gekommen ist, weil sie wusste, dass sie jetzt für alle Betroffenen da sein und sich für diese einsetzen müsse. Einen solchen Einsatz sieht sie auch darin, dass auf Wunsch vieler Mitglieder gemeinsam Chanukkah gefeiert und dabei die Chance genutzt wurde dies zu einem Moment der Begegnung werden zu lassen. So durften nicht nur Jüdinnen und Juden oder Menschen mit entsprechendem Bezug den Festlichkeiten beiwohnen, sondern es waren alle Menschen eingeladen, die eine Verbindung zum 07. Oktober hatten. Auch eine palästinensische Studentin nahm die Einladung an. Laut Elis war dieses Channukah der Beitrag der JHG für Verständigung, Dialog und Frieden.
Anfang 2024 wurde es ruhiger um die Jüdische Hochschulgruppe. Die Luft war raus. Der bedingungslose Einsatz für die Mitglieder und gegen Antisemitismus forderte einen Tribut. „Die Power war einfach raus. Wir waren frustriert und haben uns irgendwie zerstört gefühlt“. Der Vorstand konnte einfach nicht mehr. Um die JHG, deren Existenz für so viele in diesen Zeiten von Bedeutung war, nicht aufzugeben und mit der Hoffnung, dass sich die Lage in Israel und Gaza und somit auch in Bonn beruhigen würde, wurde im April ein neuer Vorstand gewählt. Ein Shabbat sollte unter dem Motto „Tunes of Tel Aviv“ gefeiert werden, um die jüdische Bonner Studentenschaft etwas abzulenken und einen Ausgleich anzubieten.
Doch auch hier kam es anders. Weltweit entstanden im Frühjahr diesen Jahres pro-palästinensische Protestcamps an Universitäten, um diese von einer akademischen Zusammenarbeit mit Israel abzuhalten, aber auch um zionistische (sprich: jüdische) Studenten und Studentinnen sowie Professoren und Professorinnen von der universitären Teilhabe abzuhalten. Auch in Bonn schlugen pro-palästinensische Demonstranten auf der Hofgartenwiese ihre Zelte auf und forderten die Universitätsleitung dazu auf nicht mehr mit israelischen Universitäten zu kooperieren und den „Genozid“ in Gaza anzuerkennen. Banner auf denen Israel als Apartheidstaat und „Free Palestine“ gefordert wurde, hingen farbenfroh am Camp. Das Hauptgebäude der Uni wurde zweimal besetzt und beide Male durch die herbeigerufene Polizei geräumt. Elis berichtet, dass die Errichtung der Pro-Palästina-Camps sie und die Mitglieder hart getroffen habe und dazu geführt hätte, dass es für sie keine ruhige Minute mehr gegeben hätte. „Wir waren immer anwesend. Wir haben spontane Gegendemonstrationen abgehalten und es uns in diesen Wochen wirklich zum Ziel gemacht diese Radikalisierung an unserer Uni zu bekämpfen.“ Dabei unterstützt wurden Elis und die JHG vor allen Dingen vom Rektor der Universität Bonn, Michael Hoch. So habe Hoch immer bedingungslos an der Seite der JHG und aller jüdischen und israelischen Universitätsangehörigen gestanden, Strafanzeige gegen die Besetzer erstattet und das Camp nach der ersten Besetzung auflösen lassen. Diese Solidarität hat Rektor Michael Hoch jedoch auch mit Drohungen gegen sich selbst bezahlen müssen. So versammelten sich nicht nur Studenten und Studentinnen vor seinem Haus, um dort gegen die Politik der Uni zu protestieren, sondern sein Wohnhaus wurde auch mit dem roten Dreieck bemalt, dass die Hamas am 07. Oktober nutzte, um ihre Opfer zu markieren und welches nun von Verteidigern der Hamas genutzt wird um auf „Zionisten“ aufmerksam zu machen und diese als zukünftige Angriffsziele zu markieren. Elis ist ihm, aber auch der ganzen Universität Bonn nicht nur deshalb sehr dankbar. Die Universität hat vor einigen Wochen zwei Antisemitismusbeauftragte ernannt und somit den Leidensdruck der Betroffenen erkannt und ernst genommen – auch deshalb ist Elis froh, dass sie in Bonn studiert. Fast lachend sagt sie, dass sie in diesem Semester gefühlt mehr mit dem Rektor gesprochen habe, als dass sie Vorlesungen besucht habe. Der zynische Unterton ist nicht zu überhören.
Dieses Entgegenkommen von universitärer Seite hilft einer Gruppe jedoch nur bedingt, wie mir Elis berichtet. Die israelischen Studenten und Studentinnen, die gerade aufgrund des guten Rufes der Universität Bonn sich diese als Studienort ausgewählt haben, meiden diese nun. Sie verbringen mehr Zeit in der Bonner Innenstadt, als in den Hörsälen. Zu belastend sei die Situation. So seien verbale Beleidigungen, Blicke und antisemitische und antizionistische Kommentare auf den Toiletten an der Tagesordnung. Die israelischen Studentinnen und Studenten fühlten sich schlichtweg nicht sicher und auch nicht willkommen.
Ein Gefühl, das auch Elis, stellvertretend für viele andere jüdische Studentinnen und Studenten an der Universität Bonn, nur zu gut kennt. „Ich gebe zu, ich habe einfach Angst. Angst, dass mich jemand erkennt, Angst vor antisemitischen Übergriffen oder dummen Kommentaren, aber auch vor einseitigen Diskussionen.“ Das Gefühl immer als „das Böse“ angesehen zu werden, bedrückt sie. Auch dies ein Symptom einer berechtigten Angst. Bei einer Gegendemonstration gegen die Besetzung des Hauptgebäudes wurden Elis und ihre Mitstreiter beinahe von einer Gruppe junger Männer gewalttätig angegriffen – zum Glück gingen mehrere Polizeibeamte dazwischen. Dennoch geht Elis ganz bewusst in ihre Vorlesungen, besucht Arbeitsgemeinschaften, schreibt ihre Hausarbeiten – setzt ihr Studium fort. Dieses Recht und diese Freude am Akademischen möchte sie sich nicht nehmen lassen und betont, dass es an anderen deutschen Universitäten bedrohlicher zugehe als in Bonn.
Elis möchte sich und ihr Leben nicht einschränken lassen, lebt aber dennoch von nun an in einer anderen Realität. Sie fühlt sich nicht mehr wie eine normale Studentin. Wahrscheinlich wird sie es auch nie wieder sein. Diese Illusion wurde ihr gestohlen.
Trotz der zehrenden Monate, trotz der Einsamkeit, der Leere, Trauer und Verzweiflung, die Elis und ihre JHG tagtäglich spüren, gibt es auch ein paar kleine Lichtblicke. Denn da ist eben auch die Zusammenarbeit mit der JU und den JuLis und ihren universitären Ablegern, dem RCDS (Ring Christlich-Demokratischer Studenten) und der LHG, die bereits im November den Bonner Ableger von Fridays for Israel mitgründeten, Demonstrationen unterstützten und auch bei Regen sich gemeinsam mit der JHG mit Israelflaggen pro-palästinensischen Protestcampern entgegenstellten. So wurden die Gegendemonstrationen ein Ort des Austauschs, guter Gespräche, Humor und einem Gemeinschaftsgefühl, dass in den vergangenen Monaten so selten zugegen war. Elis meint, dass es sich gut angefühlt habe zu sehen, dass es auch Menschen gibt, die hinter einem stehen. Auch deshalb nutzte sie die Gelegenheit, sich mit einem Grußwort bei der JU zu bedanken. Ein Grußwort, das ein weiteres Mal symbolisieren sollte, wie sehr sich das Leben für jüdische Studenten seit dem schwarzen Samstag verändert hatte. Elis beendete die Rede mit einem Gedanken, der in ihr widerhallt und sich festsetzt, weil er direkt aus ihrem Inneren kommt und ihre Gegenwart bestimmt: „Danke, dass ihr uns am 07. Oktober nicht den Rücken gekehrt habt. Denn für uns ist der 07. Oktober solange der 07. Oktober bis nicht alle Geiseln Zuhause sind – lebend oder ihr lebloser Körper.”
Das Wintersemester hat angefangen. Ersti-Wochen finden statt und über 30.000 Studenten und Studentinnen nehmen ihre Studien auf, feiern, liegen auf der Hofgartenwiese oder spielen Spiele.
Die JHG nicht. Sie wird den Jahrestag des 07. Oktober begehen und am 08. Oktober den Opfern gedenken – 1700 ermordeten Kindern, Frauen und Männern, hunderten von Geiseln, tausenden von Verletzten. Selbstverständlich an einem sicheren und der Öffentlichkeit unbekannten Ort. Zu ihrer eigenen Sicherheit.