20/07/2024
Antonia Sternberger klärt in einem sehr persönlichen und dennoch rationalen Beitrag auf was sie in ihrem sozialen Umfeld seit dem 07.10. beobachtet.
Es sind aufgeladene Gedanken über Unverständnis und Ausgrenzung, die Betroffene aus der Community nachvollziehen können, aber auch näher zusammenrücken lassen.
Vor einigen Tagen stolperte ich, als ich sinnentleert durch meinen Instagram-Feed scrollte, über einen Post von DLF, der Freundschaften thematisierte, die trotz konträrer politischer Meinungen bestehen. In diesem Post zeigte man sich überrascht, dass dies möglich sei. Mich überraschte eher das Erstaunen über diese Freundschaften. Denn den Großteil meiner Freundschaften führe ich mit Menschen, die politisch in vielen Themen eine andere Meinung vertreten als ich. Dies tut den Freundschaften jedoch keinen Abbruch, sondern bereichert diese. Sie sind geprägt von lebhaften Diskussionen, dem Akzeptieren anderer Sichtweisen und Einblicken in politische Thesen, die ich so sonst nicht erhalten hätte.
Diese unterschiedlichen politischen Verortungen vereinte jedoch eine gemeinsame Ansicht zu einem bestimmten Thema – das Existenzrecht Israels und Solidarität mit diesem Staat.
Doch was passiert mit Freundschaften, wenn dieser Beistand plötzlich zu einem Politikum wird? Wenn einem das Gefühl gegeben wird, sich äußern zu müssen. Sich auf eine Seite zu schlagen. Haltung zu zeigen. Nun wissen wir es. Der 07. Oktober hat es uns gezeigt.
Am 07. Oktober schlich sich neben unfassbarer Bestürzung und Trauer auch ein weiterer Gedanke ein – nämlich das jetzt doch die ganze Welt begreifen müsse, wie sehr der Staat Israel seit jeher in seiner Existenz bedroht ist.
Nicht nur ich wurde in dieser Annahme bitter enttäuscht. Bereits am Abend des 07. Oktober teilten Freunde und Bekannte in ihren Instagramstories Posts, die die Geschehnisse als “Freiheitskampf” rechtfertigten und feierten. In den Wochen und Monaten danach stellte sich immer wieder die Frage – was kann eine Freundschaft aushalten?
Kann eine Freundschaft bestehen bleiben, wenn die eine Partei jüdisch, israelisch, zionistisch ist, einen Bezug zum Judentum hat und die andere sich zu der “Freiheitsbewegung” der Palästinenser hingezogen fühlt? Wenn die eine täglich auf das Schicksal der Geiseln aufmerksam macht und die andere anfängt Hamas-Propaganda zu teilen? Wenn die eine versucht dieser Propaganda entgegenzuwirken und die andere blind “From the River to the Sea Palestine will be free” postet? Wenn die eine Angst um die Sicherheit ihrer Familie, um sich selbst hat und die andere auf Demonstrationen geht und laut “Yallah, Yallah Intifidada” schreit? Wenn die eine sich versteckt und die andere sich ob ihres Aktivismus brüstet. Wenn die eine für eine Zweistaatenlösung ist und die andere das Existenzrecht Israels gänzlich in Frage stellt. Wenn die Freundschaft endet, weil die eine Partei jüdisch, israelisch, zionistisch ist oder einen Bezug zum Judentum hat?
Nein. Denn Antisemitismus ist keine Meinung. Antizionismus ist keine diskutable Ansicht. Antisemitismus zerstört Freundschaften. Und lässt die fallengelassene Person ratlos zurück mit der sich in Dauerschleife abspielenden Frage, wo ist die Empathie für uns: Ständig wird einem im echten Leben und auf Social Media vorgeworfen, man hätte keine Empathie für die andere Seite, man sei böse, man sei ein schlechter Mensch, man habe kein Mitleid mit der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza – ganz ungeachtet von der wahren Meinung oder Posts, die das Gegenteil bezeugen. Doch wo ist die Empathie der Hamas-Sympathisanten für die Geiseln, für die über 1200 grausam Ermordeten, für die Überlebenden, die Verwundeten, die betroffenen Familien und Freunde? Wo ist das Mitleid für das Volk, das am 07. Oktober 2023 das größte und tödlichste Massaker seit der Shoah erleiden musste? Dem keine Zeit zur Trauer zugestanden wird? Das weltweit angegriffen, beleidigt, verfolgt wird? Das im Stich gelassen wird, da Antisemitismus nun zum Trend geworden zu sein scheint? Diese Empathie wird Juden und Israelis nicht zugestanden. Eben weil sie Juden und Israelis sind.
Wie sollen Freundschaften ihrem Namen gerecht werden, wenn Mitleid gegeneinander ausgespielt wird, die Menschlichkeit nicht anerkannt, sondern einseitig abgesprochen wird? Per Definition ist eine Freundschaft ein auf gegenseitiger Zuneigung beruhendes Verhältnis von Menschen zueinander. Eine solche Zuneigung kann jedoch zerbrechen, wenn sich eine dritte Konstante dazugesellt – Antisemitismus. Diskriminierung lässt keinen Raum für wohlgesonnene Gefühle, sondern nur für Abneigung und Hass und lässt Betroffene zurück, die sich einsam und verraten fühlen. Man fühlt sich verlassen. Generationenübergreifende Traumata werden reaktiviert. Eine Welt, die seit dem 07. Oktober fremd und feindlich scheint, wird noch einsamer. Die Personen, die einen auffangen sollten, die eine Stütze sein sollten, wenden sich ab und man ist auf sich allein gestellt.
Oder doch nicht? Es lässt sich zwar nicht verneinen, dass man in den letzten Monaten Freunde und Bekannte verloren hat, aber wir sind nicht alleine. Wir haben uns. Wir rücken zusammen. Wir fangen einander auf. Und dann entstehen eben doch wieder lebhafte Diskussionen, Partys auf denen man sich sicher und wohl fühlt, nächtliche stundenlange Gespräche, gemeinsame Kinobesuche, Aktivismus und das Gefühl von Zugehörigkeit und Gemeinschaft. Dann wird doch neben all dem Schmerz und der Verzweiflung, gelacht und gekämpft. Dann kann man doch so sein, wie man ist. Jüdisch. Israelisch. Zionistisch.