Wem nützt eine symbolische Hand?

Nicole Pastuhoff ist Präsidentin des Jüdischen Studierendenverbandes Nordrhein-Westfalens e.V.. Diese Funktion übt sie seit Mai 2023 aus. Zudem ist sie ein aktiver Bestandteil der Jewish Women Empowerment Taskforce der JSUD. Aktuell studiert sie Politikwissenschaft und macht es sich zur persönlichen Aufgabe, die politische Demokratiebildung aus jüdisch-deutscher Perspektive zu stärken.

Am 25. November erscheint die jährliche „Orange-Hand-Day“ Kampagne der Vereinten Nationen, um auf die Gewalt gegen Mädchen und Frauen aufmerksam zu machen. Doch was bringt diese Kampagne? Für ein paar Tage halten politische Akteure ihre Hand in die Kamera. Doch wo sind ihre warnenden Hände, wenn viele von uns das ganze Jahr über Hände auf ihren Körpern spüren?

Wie ernstzunehmend ist der Slogan von UN-Women „Stopp Gewalt gegen Frauen“, wenn 13 israelische Frauen seit über 416 Tagen ihrem Schicksal in den Tunneln des Gazastreifens überlassen werden? Die weltweit größte Frauenhilfsorganisation hat über zwei Monate gebraucht, um die sexualisierte Gewalt gegen jüdische und israelische Frauen am 07. Oktober 2023 zu verurteilen und die Hamas als Täter zu benennen. Hilfe für diese Frauen blieb jedoch seitens der UN bis heute aus. Nach wie vor, versucht die jüdische Gemeinschaft die verschleppten 101 Geiseln in die Wahrnehmung der Gesellschaft zu rücken. Doch auch nach wie vor, werden Kampagnen wie diese, nur für die eigene politische Agenda genutzt, anstatt sie als Weckruf zur Handlung zu nutzen.

Das Bundeskriminalamt veröffentlichte Mitte November eine alarmierende Statistik darüber, dass im Jahr 2023 die Gewalt gegen Frauen gestiegen ist. Doch wen überrascht diese Statistik wirklich? Ich glaube beim Erscheinen dieser Statistik reagierte die Mehrheitsgesellschaft größtenteils auf zwei Arten – falls sie diese nicht von vorneherein ignorierten. Entweder sie seufzten betroffen und scrollten weiter, oder sie dachten zurück an ihre eigene Erfahrung (oder die ihrer Bekannten) und fragten sich, wie hoch die Dunkelziffer wirklich ist.

Statt jährlichen Fotokampagnen brauchen wir jetzt ein Gewalthilfegesetz, das noch vor Ende der Legislaturperiode umgesetzt und bedarfsgerecht finanziert wird. Der Zugang zu Schutz und Unterstützung darf nicht durch gekränkte Egos verwehrt bleiben. Im Jahr 2023 erlebten Frauen in Deutschland alle 4 Minuten Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner. Mehr als alle zwei Stunden wurden Frauen Opfer sexualisierte Gewalt durch ihren (Ex-)Partner. Alle zwei Tage wurden Frauen durch ihren (Ex-)Partner getötet. Jeden Tag bleibt gewaltbetroffenen Frauen und ihren Kindern der Zugang zu Schutz und Unterstützung verwehrt – weil es nicht genügend Frauenhausplätze gibt. Die schlechte Verwaltung des deutschen Haushalts darf nicht auf den Frauenkörpern ausgetragen werden. Diejenigen, die diese Kriminalstatistik tatsächlich betroffen macht, müssen sich jetzt für das Gewalthilfegesetz einsetzen. Ob mit ihrem Stimmrecht im Bundestag oder mit einer Unterschrift des Brandbriefes auf ihrem Handy.

In einer Welt, in der der Vorwurf der sexuellen Gewalt schwerer wiegt, als die erlebte sexuelle Gewalt, ist nichts als andauernde sexuelle Gewalt zu erwarten. Solange Opfer mit ihren Erlebnissen allein gelassen werden, werden Täter nicht von weiteren Straftaten abgehalten. Solange Opfer, trotz traumatischer und gesundheitlicher Auswirkungen, stichhaltige Beweise brauchen, um ihre Aussage gegen Aussage zu belegen, schreckt kein Täter vor einer weiteren Straftat zurück. Solange das juristische Verständnis von sexuellen Straftaten nicht erweitert wird, steigen die Dunkelziffern weiter ins Unermessliche. Solange ihr eure Hände nur für die Kampagne in die Kamera haltet, aber sonst nicht eingreift, wird sich nichts ändern.

Bitte spart euch eure orangenen Posts, wenn ihr euch den Rest des Jahres über den Wahlsieg eines verurteilten Sexualstraftäters freut. Bitte streckt nicht eure Hand in die Kamera, wenn ihr einen Kanzlerkandidaten unterstützt, der gegen die Strafbarkeit bei Vergewaltigung in der Ehe gestimmt hat. Letztendlich nützt diese symbolische Hand nur jenen, die willentlich Frauenrechte in die Entscheidungsmacht von Saudi-Arabien und Menschenrechte in den Iran abgeben. Da ist ein scheinheiliges Bild nur ein kleiner Ring im langen Glied der demokratiefernen Institution.

Nein, wir brauchen eure gestellte Kampagne wirklich nicht. Wir jüdischen Frauen wissen, dass wir uns nur auf uns selbst verlassen können. Oft genug wurden wir von Institutionen und sogenannten Vertrauten im Stich gelassen. Dies hat uns nur gelehrt, wie wir, für uns und füreinander einstehen können. Wir wissen inzwischen, wie wir uns selbst organisieren können und helfen denen, die es noch nicht wissen. Wir lassen es uns nicht nehmen, unsere Wut in Stärke umzuwandeln und unsere Stimmen für jene zu nutzen, die nicht gehört werden.