Kommentar von Maya Roisman zur Causa Nan Goldin.
Zwischen dem egoistischen Blick einer buschigen Katze, bezahlter Werbepartnerschaft mit Gucci und der Umarmung zweier Skulptur-Ärsche ein repost von Middle East Eye zu Gaza. Willkommen auf Nans insta page.
Ich atme aus und trenne die Kunst von der Künstlerin. Erinnere mich noch daran, wie ich an einem Sonntag im Books and Bagels in Berlin mit meinem ersten Erwachsenengehalt eine teure Ausgabe von “The Ballad of Sexual Dependency” erworben habe. Wenn ich an Nan Goldin denke, sehe ich einen herzförmigen Bluterguss, der auf so eine alltägliche und gleichzeitig sinnbildliche Art, Lust und Schmerz als Kern dezidierter weiblicher Erfahrungen markiert. In einer Welt der Unsichtbarkeit jüdischer Positionen in der deutschen Kunstgeschichte, konnte ich mich mit amerikanisch-jüdischen, feministischen Ikonen identifizieren, die in den 80-er und 90-er Jahren eine Wiederbelebung der sexuellen Freiheit in ihrer Kunst bewirkt haben. Nach wie vor halte ich die Qualität Nan Goldins Fotografien für unübertroffen in ihrer zugänglichen Verschmelzung aus Ästhetik, Emotionalität und gesellschaftspolitischer Dimension. Die, und hier der disclaimer, inhaltlich keine Bezüge zu Israel aufweisen.
Am 23.11.24 eröffnete Nan Goldin mit einer tiefsinnigen Rede ihre Einzelausstellung “This will not end well” in der Neuen Nationalgalerie in Berlin. In sechs spezifisch für sie gestalteten Architekturen werden Fotografien ihrer bekanntesten Werkzyklen gezeigt, die ihre Biografie, die AIDS-Krise oder Queere Lebensrealitäten thematisieren. In Nans Eröffnungsrede ging es um anderes: Es gab vier Schweigeminuten und dann hagelte es Vorwürfe gegen Israel, sie bezeichnete den Krieg in Gaza und im Libanon als einen Völkermord. Dann das side eye zu Deutschland: Goldin erinnerte nicht nur an die Pogrome an ihren Vorfahren während der NS-Zeit, sondern unterstellte dem Land, nun Vergleichbares in Israel zu unterstützen. Eine darauf folgende Gegenrede des Direktors Klaus Biesenbach wurde von Pro-Palästina Aktivisten*innen, die sowohl von Künstlerin als auch Institution im Gebäude geduldet wurden, durch Zwischenrufe unterbrochen. Was ich fast schon fair finde. Denn die Neue Nationalgalerie habe von Goldins Haltung gewusst und ist auf Proteste vorbereitet gewesen. Nan hat bereits mehrfach offene Briefe der Israel-Boykott Bewegung BDS unterschrieben, wie den im Artforum Magazin kurz nach dem 7.Oktober 2023. Andere Künstler*innen mussten schon für weniger einpacken – Side eye zu Candice Breitz.
Wie hat sich die Neue Nationalgalerie vorbereitet? Neben Biesenbachs Gegenrede, sollte in einem Symposium von Saba Nur Cheeba und Meron Mendel die Ausstellung als Anlass dafür genommen werden, jüdische, israelische und palästinensische Speaker einzuladen, die bereit sind, “raus aus dieser binären Debattenkultur zu kommen und mitzudiskutieren”. In meiner Gedankenblase ein Podium mit Leon Kahane, Candice Breitz, Deborah Feldman und Hito Steyerl. Die internationale BDS-Bewegung rief daraufhin mit “Strike Germany” zu einem Boykott dieser “zionistisch dominierten” Veranstaltung auf – und wurde dabei von Nan Goldin selbst unterstützt. Diese vorgezogene Maßnahme zur Kontextualisierung Goldins (als Person, nicht ihrer Ausstellung?!) erinnert an den Umgang mit historisch problematischer, wie beispielsweise kolonialer Raubkunst, die nicht zurückgebracht, aber durch Wandposter erläutert werden kann. Nan Goldins orchestrierter Protest wiederum ist die Umkehrung Ruth Patir Performance auf der Biennale mit demselben Ziel: eine jüdische Frau, die, um nicht den Platz räumen zu müssen, notgedrungen zeigt, wie wütend sie auf Israel ist.