15/08/2024
Chiara Lipp, aus unserer Reihe „Feministische Größen im Judentum“.
Zunächst stellt sich die Frage, was der kleine und scheinbar eher unbedeutende Feiertag Tu B’Av eigentlich mit meiner Kolumne zu feministischen Größen im Judentum gemeinsam hat. Diese Frage wird im Laufe meines Artikels hoffentlich beantwortet werden. Zugegeben – als hoffnungslose Romantikerin und treue Anhängerin des Rom-Com Filmgenres verbinde ich Tu B’Av natürlich erst einmal mit triefender Romantik, einem schönen Candle Light Dinner zu zweit oder auch ganz klassisch mit einer Schachtel Pralinen (obwohl mir die meisten sowieso nicht schmecken). Nicht umsonst wird er in Israel auch als Hag HaAhava – Tag der Liebe bezeichnet. Doch wo liegen die Wurzeln dieses Feiertages und steckt vielleicht doch mehr dahinter?
Tu B’Av wird vom 14. auf den 15. Av (in diesem Jahr vom 18. Bis 19. August) gefeiert und in der Mischna zum ersten Mal, gemeinsam mit Jom Kippur, als Tag der Freude erwähnt. Laut dem Schulchan Aruch sind, außer dem Verzicht auf das Tachanun, einem privaten Bittgebet während des Schacharit und Mincha Gebetes, keine besonderen Mitzwot vorgesehen. Mehrere wichtige Ereignisse in der Geschichte des Volkes Israel fallen jedoch auf diesen Tag. Da wären beispielsweise der Beginn der Weinlese, welche dann an Jom Kippur endet, oder das Ende des Eheverbots zwischen den 12 Stämmen, insbesondere mit dem Stamm Benjamin. Während der zweiten Tempelperiode wurde der Tag dann als eine Art „Matchmaking Day“ genutzt, um noch unverheiratete Frauen in schönen weißen Kleidern potenziellen Ehepartnern zu präsentieren (vgl. Chabad 2024, Evers 2021, Lau o.D.). Es wurde getanzt, gesungen und gelacht. Tu B’Av soll also ein Tag voller Freude, Liebe und letztlich auch der Ehe sein.
Meiner Ansicht nach soll sich diese Liebe jedoch nicht nur in einer Partnerschaft oder Ehe zeigen, sondern vor allem auch im Umgang mit sich selbst. Ob auf Postkarten, Wandtattoos, Tischkalendern oder in dem ein oder anderen WhatsApp Status – häufig liest man von der Notwendigkeit sich und seine eigenen Bedürfnisse zu priorisieren und von der Pflicht sich selbst zu lieben oder immerhin zu akzeptieren. Aber Hand aufs Herz, wer schafft das denn im Alltag? Vor allem in Zeiten wie diesen, in denen die Herausforderungen nicht aufzuhören scheinen und man sich nur so von Woche zu Woche, ja fast von Tag zu Tag kämpft. So oft zweifle ich an mir und rede mir ein, dass mein Tun nicht genug ist, dass ich so vieles hätte besser machen können.
Jeder von uns kennt das Verbot von Laschon Hara. Das Verbot des negativen Sprechens über eine andere Person. Als ich mal wieder am Hadern mit mir selbst war und die Verzweiflung nicht enden wollte, rief ich meine Rabbinerin Yael an und suchte ihren Rat. So oft hatte sie mich schon aufgebaut, mir geholfen und als wir so miteinander sprachen, merkte sie an, dass Laschon Hara eben nicht nur für andere Personen gilt. Diese Mitzwa ist vor allem auch in Bezug auf mich selbst zu erfüllen! Negative Gedanken und Äußerungen, die ich gegen mich selbst richte, sind von Haschem, dem Ewigen, sicher nicht gewollt. Ab und an auftretende Selbstzweifel oder der Frust nach einer miserablen Note in einer Klausur oder der knapp verpassten Bahn sind sicher normal, doch eine konstant fehlende Wertschätzung der eigenen Person und Handlungen sollte genauso wenig vorhanden sein, wie sie bezüglich unseren Mitmenschen angebracht ist. Respekt vor sich selbst, das Erkennen des eigenen Wertes und die Liebe zu sich selbst und all dem, was man bisher geschafft hat, sollte auch in stürmischen Zeiten nicht verloren gehen. Es kostet Kraft und ist mit einem hohen Maß an Selbstreflexion verbunden, doch lohnt sich allemal. An diesem Tu B’Av möchte ich nicht nur meinem Partner eine Freude bereiten, sondern auch mir selbst. Ich möchte mich belohnen für all das, was ich bereits erreicht habe und motivieren für all das, was ich noch schaffen werde. L’Chaim auf uns und euch allen einen wunderschönen und bezaubernden Tu B’Av!
Chiara <3
Chabad.org (2024). The 15th of Av 2024 – Love and Rebirth. Verfügbar unter: https://www.chabad.org/library/article_cdo/aid/53680/jewish/15th-of-Av.htm (zuletzt abgerufen am 04.08.24)
Evers, R. (2021). Warum der Feiertag der jüdischen Ehe nichts mit dem Valentinstag gemeinsam hat. Jüdische Allgemeine. Verfügbar unter: https://www.juedische-allgemeine.de/religion/heilige-gefuehle/ (zuletzt abgerufen am 04.08.24)
Lau, Y.M. (o.D.). The Meaning of Tu B’Av. Six events occurred on Tu B’Av, the 15th of Av, making it a festive day in the Jewish calendar. Aish. Verfügbar unter: https://aish.com/48955491/ (zuletzt abgerufen am 04.08.24)