Hannah Arendts verlorene Essays zu Israel-Palästina

18/08/2024

Hass währt nicht ewig

*English Version below

Antonia Sternberger hat einen kritischen Blick auf die Veröffentlichung des Hannah Arendt Biografen Thomas Meyer gewagt.

“Es ist ein schönes, anständiges und großes Dokument. Zunächst wird es vermutlich mehr Juden als Araber überzeugen. Denn der springende Punkt, ohne den die entscheidenden Sätze der Lösung ihren Sinn verlieren, ist der Friedensschluß”. Mit diesen Worten reagierte der Philosoph Karl Jaspers auf den Bericht des Institute for Mediterranean Affairs zur Lösung des Palästinensischen Flüchtlingsproblems von 1958, den ihm Hannah Arendt übersandte. Ihre Mitarbeit an diesem Bericht sowie ein Aufsatz Arendts zur „Amerikanischen Außenpolitik & Palästina“ werden nun in dem von Arendts Biograf Thomas Meyer herausgegeben Werk “Hannah Arendt über Palästina” erstmals thematisiert. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist erschreckend aktuell, so hält der durch die Hamas am 07. Oktober begonnene Krieg zwischen der Terrororganisation und Israel weiterhin an. Über 120 Geiseln sind noch immer in Gefangenschaft, die palästinensische Zivilbevölkerung leidet als Schutzschild missbraucht, die Welt ergießt sich in Hass auf den einzigen jüdischen Staat der Welt, die Zweistaatenlösung scheint wie ein entfernter und unrealistischer Traum – ein gerechter Frieden für Israelis und Palästinenser liegt in weiter Ferne.

Sind in diesen Zeiten Hannah Arendts Beiträge zum Nahostkonflikt wertvoll oder hilfreich? Schließlich wurden beide Texte 1944 und 1958 verfasst. Könnten sie nicht etwas von ihrer Aktualität eingebüßt haben? Nein. Die Texte tragen nicht nur zu einem ausgewogeneren und besseren Verständnis zur Haltung Arendts zum einzigen Jüdischen Staat auf der Welt bei, sondern sind trotz der vergangenen Jahrzehnte noch immer so treffend auf den Konflikt anzuwenden, dass es fast Unbehagen auslöst.

Der Essay “Amerikanische Außenpolitik & Palästina”, der 1944 von Arendt verfasst wurde und Jahrzehnte unveröffentlicht in einem Archiv aufbewahrt wurde, zeigt deutlich, dass die Philosophin durchaus für die Errichtung eines Jüdischen Staates war. So zeigt sie sich enttäuscht darüber, dass die Wagner-Taft Resolution, die für eine Errichtung eines Jüdischen Staates im Britischen Mandatsgebiet Palästina warb, vertagt wurde und es sich abzeichnete, dass es nicht zu einer Abstimmung über diese kommen würde. Deutlich wird jedoch auch, dass ihr die Gefahren, gerade aufgrund der bestehenden Ölinteressen verschiedener Länder an der Region, bewusst waren und sie hoffte, dass ein Jüdischer Staat nicht bloß zu einem Vertreter fremder Interessen werden würde. Vor allen Dingen die Rolle der USA beschäftigte sie sehr. So schrieb Arendt in ihrem Essay, dass der Jüdische Staat nicht im Sinne einer Protektion von den Amerikanern abhängig sein dürfe, sondern vielmehr eine Beziehung, die auf Sympathie und Förderung beruht, wünschenswert wäre. Eine solche Abhängigkeit Israels von den USA ist nicht unbedingt eingetreten. Obwohl in den letzten Monaten wieder einmal ersichtlich wurde, dass Israel durchaus auf Waffenlieferungen und Verteidigungsmaßnahmen durch die Amerikaner bei Drohnenangriffen durch die Houthi-Rebellen sowie den Iran, angewiesen ist – was die Hoffnung Arendts auf ein positives und freundschaftliches Verhältnis zwischen den beiden Staaten jedoch nicht in Abrede stellt. Zwar ist dieses Verhältnis seit dem 07. Oktober durchaus angespannt, wenn es jedoch darauf ankommt, stehen die USA weiterhin dem Jüdischen Staat bei.

Wesentlich belastender war es den Bericht des Institute for Mediterranean Affairs zum Palästinensischen Flüchtlingsproblem zu lesen, zu dessen Gremium Hannah Arendt gehörte. Denn dieser liest sich teilweise nicht als wäre er vor knapp 7 Jahrzehnten, sondern im letzten Jahr verfasst worden.

Das Institute hat es sich 1958 aufgrund des bevorstehenden Auslaufens des UNRWA Mandats zur Aufgabe gemacht, eine Friedenslösung im Nahen Osten zu präsentieren. So wollte man sich absichtlich nicht mit den üblichen Fragen bezüglich Schuld, Herkunft etc. beschäftigen, sondern sich auf eine möglichst gerechte Lösung fokussieren, die den damaligen Tatsachen gerecht werden sollte. Neben dem Vorschlag, dass alle palästinensischen Flüchtlinge frei und ohne Zwang entscheiden können sollten, wo sie sich endgültig niederlassen wollen, um das eigene Leben wieder in die Hand zu nehmen, wurde auch die Idee einer monetären Entschädigung für die Palästinenser und Juden, die nach Flucht oder Vertreibung nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren konnten, ins Spiel gebracht. Um diese Pläne umzusetzen, forderte das Gremium die Einrichtung einer UN-Sonderkommission beziehungsweise einer Rückführungs- und Umsiedlungsbehörde (RRA), die paritätisch mit Israelis und Arabern besetzt sein soll und dem Vorsitz eines unabhängigen Vertreters der Generalversammlung der Vereinten Nationen unterstehen sollte um Fairness zu garantieren.

Allerdings erscheinen diese Vorschläge und Ideen, die im Bericht des Institute for Mediterranean Affairs aufgeführt werden, gerade im Angesicht des aktuell andauernden Krieges und dem bevorstehenden Angriff des Iran zutiefst idealistisch. Zwar wird in dem Bericht darauf eingegangen, dass bei einer solchen Rückführung auch die berechtigten Sicherheitsbedenken Israels anerkannt und einbezogen werden müssen, andererseits hätte der Plan nur mit Beteiligung aller arabischen Staaten umgesetzt werden können. Und dieser Punkt scheint dann fast schon naiv. Weshalb hätten sich Staaten, die teilweise selbst heute den israelischen Staat noch nicht einmal anerkennen, an einem solchen Plan, der Gerechtigkeit für Palästinenser und Juden sucht, beteiligen sollen? So beschreibt Arendt bereits in ihrem Essay zu Amerikanischer Außenpolitik & Palästina den Umstand, dass die arabischen Staaten “sich bisher auf nichts haben einigen können als auf gemeinsame Feindschaft gegen das Jüdische Nationalheim in Palästina (…) und dass diese rein negative Haltung genügt um panarabische Politik zu machen”. Diese Ansicht der Arabischen Liga hat sich bis heute nicht wirklich geändert. Seit Jahrzehnten wird in arabischen Ländern Antisemitismus in Schulen gelehrt und der Hass auf Israel von Generation zu Generation weitergegeben. Ein diplomatisches und auf gegenseitigem Respekt beruhendes Verhältnis zwischen Israel und vielen arabischen Staaten scheint bis auf Ausnahmen (Stichwort “Abraham Accords”) realitätsfern. Doch wie kann und konnte bei einem solchen Status Quo jemals ein solcher Plan zur Lösung des Flüchtlingsproblems als realistisch angesehen werden? Dies wird auch durch den Umstand bekräftigt, dass sich schon das Institute for Mediterranean Affairs in seinem Bericht die Frage stellte, weshalb den Palästinensischen Flüchtlingen eine Aufmerksamkeit zugestanden wird und wurde, die anderen Flüchtlingen so nie zuteil wurde. So war eines der angeführten Ziele des Berichts, dass der Flüchtlingsstatus der Palästinenser unter der UNRWA endet und sie am Ort ihrer Wahl als gleichberechtigte Staatsbürger leben können. Das dies bis heute nicht umgesetzt wurde und Palästinenser nun in 3. oder 4. Generation immer noch als Flüchtlinge gelten, liegt daran, dass es der UNRWA aber auch den Nachbarstaaten Israels in die Hände spielt den Flüchtlingsstatus aufrecht zu erhalten. Denn wer sich für immer vertrieben und nicht heimisch fühlt, wird immer eine Abneigung gegenüber dem vermeintlichen oder realen Auslöser haben.

Trotz dieser idealistischen Illusion des Berichts, der einen großen Teil des Werkes ausmacht, ist es ein guter Zeitpunkt beide Texte erstmals zu veröffentlichen. Galt Hannah Arendt für einige lange aufgrund eines kritischen Beitrags in “Zionism Reconsidered” als Antizionistin, zeichnen ihr Essay und ihre Teilnahme an der Ausarbeitung des Berichts zur Lösung des Flüchtlingsproblems ein differenzierteres und realistischeres Bild.

Ich würde beide Texte sogar soweit deuten, dass Hannah Arendt eine Zionistin war, da sie durchaus grundsätzlich für die Existenz eines Jüdischen Staates einstand. Allerdings war sie sich, wie viele andere Zionisten auch, des Leides auf beiden Seiten bewusst und wünschte sich einen gerechten Frieden.

Gerade dieser Gedanke ist für mich der springende Punkt dieser Veröffentlichung. Damals gab es viele, die auf Gerechtigkeit und Frieden hinarbeiteten und es gibt sie noch heute. Auch wenn noch immer Geiseln in Gaza festgehalten werden, Trauer und Schock seit dem 07. Oktober anhalten, palästinensische Zivilisten ihre Häuser verlassen mussten, in katastrophalen Bedingungen in Gaza leben und als Schutzschilder missbraucht werden, israelische rechtsextreme Politiker Hass schüren, gibt es Hoffnung. Denn da sind eben auch die Friedensaktivisten Israels, die sich, obwohl sie von den Überfällen der Hamas auf die Kibbuzim überproportional betroffen waren, nicht unterkriegen lassen und weiterhin für eine Zweistaatenlösung eintreten. Da sind hunderttausende Israelis, die wöchentlich für einen Geiseldeal und gegen die Regierung Netanyahus demonstrieren. Da sind Palästinensische Aktivisten in Gaza, die sich gegen die Hamas aussprechen und dies, wie zuletzt fast mit ihrem Leben bezahlen. So bleibt doch immer die Hoffnung, dass irgendwann, wenn Palästinensern unabhängige Unterstützung zuteilwird und keine Rechtsextremen in Israels Regierung an der Macht sind, es Frieden und Versöhnung geben wird. Aktuell scheint es wie ein ferner Traum, aber wie es im Bericht des Institute for Mediterranean Affairs so prägnant heißt: “Hass währt nicht ewig”.

“Hate does not last forever” – Hannah Arendt on Palestine

“It is a beautiful, decent and great document. At first, it’s probably going to convince more Jews than Arabs. Because the point of the matter, without whom the decisive phrases of the solution become meaningless, is the peace agreement.” This is how German Philosopher Karl Jaspers reacted to the report by the Institute for Mediterranean Affairs relating to the solution of the Palestinian refugee crisis from 1958, which Hannah Arendt sent to him via letter. Her collaboration on this report as well as one of her essays called “American Foreign Policy & Palestine” have been made a subject of discussion recently after their publication in “Hannah Arendt on Palestine” by her biographer Thomas Meyer. The timing of the publication is shockingly relevant as the war that has been waged by Hamas on 7th October between the terror organisation and Israel is still ongoing. Over 120 hostages are still held hostage, the Palestinian civil society suffers whilst being abused as human shields, the world is pouring hatred on the only Jewish state in the world, the two-state solution seems to be like an unattainable and unrealistic dream – just peace between Israelis and Palestinians remains a distant prospect.

In this situation it begs the question whether Hannah Arendt’s work about this conflict offers any help or any valuable insight. The writings were composed in 1944 and 1958 respectively, at last. Could it be possible that they have lost their relevance?

No. The texts not only contribute to a better and much more nuanced understanding of Arendt’s attitude towards the only Jewish State in the world but they are still so aptly applicable to the conflict despite the decades that have passed that it almost causes discomfort.

The essay “American foreign policy & Palestine”, that was authored by Arendt in 1944 and was laying undiscovered in an archive, proves that the philosopher was certainly in favour of the creation of a Jewish State. Therefore, she was disappointed when the Wagner-Taft Resolution, that advertised for the creation of a Jewish State in the British mandate area of Palestine, got postponed and it became clear that a vote would not take place. However, it also becomes clear that Hannah Arendt was aware of the dangers, especially due to the existing oil interests of various countries in the region, and she hoped that a Jewish State would not merely become a representative of foreign interests. Above all, she was concerned with the future role of the United States. Arendt wrote in her essay that a Jewish State must not be dependent on American protection but that a relationship based on sympathy and support would be desirable. Israel’s expected dependence on the US has not necessarily materialized. Although it has once again become clear in recent months that Israel is reliant on American arms supplies and defence measures in the event of drone attacks by the Houthi rebels and Iran, this does not deny Arendt’s hope for a positive and friendly relationship between the two states. While this relationship has been strained since 7th October, the US continues to stand by the Jewish state when it matters.

The Institute for Mediterranean Affairs‘ report on the Palestinian refugee problem of which Hannah Arendt was a member was even more shocking because it reads in part not as if it had been written almost 7 decades ago but last year. 

In 1958, due to the imminent expiration of the UNRWA mandate, the Institute set itself the task of presenting a peace solution in the Middle East. The intention was not to deal with the usual questions of guilt, origin, etc., but to focus on a solution that was as just as possible and in line with the facts of the time. In addition to the proposal that all Palestinian refugees should be able to decide freely and without coercion where they want to settle permanently in order to take control of their own lives, the idea of financial compensation for Palestinians and Jews who are unable to return to their homeland after fleeing or being expelled was also put forward. In order to implement these plans, the panel called for the establishment of a special UN commission or a Repatriation and Resettlement Authority (RRA), which should be made up of an equal number of Israelis and Arabs and be chaired by an independent representative of the United Nations General Assembly in order to guarantee fairness.

However, these proposals and ideas listed in the report by the Institute for Mediterranean Affairs appear deeply idealistic especially in light of the current ongoing war and the imminent attack by Iran. Although the report states that Israel’s justified security concerns must be recognised and taken in to account in such a repatriation, the plan could only have been implemented with the participation of all Arab states. And this point seems almost naive. Why should states, some of which do not even recognise the Israeli state today, have participated in such a plan that seeks justice for Palestinians and Jews? In her essay on “American Foreign Policy & Palestine”, Arendt describes the fact that the Arab states ‘have so far been unable to agree on anything except common hostility to the Jewish national home in Palestine (…) and that this purely negative attitude is enough to make pan-Arab policy’. This view of the Arab League has not really changed to this day. For decades, anti-Semitism has been taught in schools in Arab countries and hatred of Israel has been passed on from generation to generation. A diplomatic relationship based on mutual respect between Israel and many Arab states seems unrealistic, with a few exceptions (keyword ‘Abraham Accords’). But how can and could such a plan to solve the refugee problem ever be considered realistic in such a status quo? This is also confirmed by the fact that the Institute for Mediterranean Affairs already asked itself in its report why the Palestinian refugees are and have been given attention that has never been given to other refugees. One of the stated aims of the report was to end the refugee status of Palestinians under UNRWA and allow them to live as equal citizens in the place of their choice. The fact that this has not yet been implemented and that Palestinians are still considered refugees in the third or fourth generation is due to the fact that maintaining refugee status plays into the hands of UNRWA as well as Israel’s neighbouring states. After all, anyone who feels forever displaced and not at home will always have an aversion to the supposed or actual cause.

Despite this idealistic illusion of the report, which makes up a large part of the work, it is a good time to publish both texts for the first time. While Hannah Arendt was long regarded as an anti-Zionist due to a critical contribution in ‘Zionism Reconsidered’, her essay and her participation in the drafting of the report on the solution to the refugee problem paint a more differentiated and realistic picture. I would even interpret both texts to mean that Hannah Arendt was a Zionist, as she was fundamentally in favour of the existence of a Jewish state. However, like many other Zionists, she was aware of the suffering on both sides and wished for a just peace.

For me, this idea is at the heart of this publication. There were many who worked for justice and peace back then and there are still many today. Even though hostages are still being held in Gaza, grief and shock have persisted since 7th October, Palestinian civilians have had to leave their homes, are living in catastrophic conditions in Gaza and are being abused as shields and Israeli right-wing extremist politicians are stirring up hatred, there is still hope. Because there are also the peace activists in Israel who, although they were disproportionately affected by the Hamas attacks on the kibbutzim, are not letting themselves be beaten down and continue to stand up for a two-state solution. There are hundreds of thousands of Israelis who demonstrate every week in favour of a peace deal and against Netanyahu’s government.

There are Palestinian activists in Gaza who speak out against Hamas and, as recently, almost pay for this with their lives. So, the hope always remains that at some point, if Palestinians are given independent support and no right-wing extremists are in power in Israel’s government, there will be peace and reconciliation. At the moment, this still seems like a distant dream, but as the Institute for Mediterranean Affairs so aptly puts it: ‚Hate does not last forever‘