Jungs, die denken, sie seien ein großes Geschenk
Kolumne von Michelle Senderski
Der Titel dieses Artikels entstammt aus einer Antwort unserer kürzlichen Instagram-Umfrage über „Jewish Dating“. Diese Antwort löste in mir etwas aus, denn früher hatte ich die Vision, wie ich meinen russisch-jüdischen Freund meinen Eltern vorstellte und in ihren Augen würde ich endlich nichts als Zufriedenheit und Stolz sehen. Er wäre lockig, ruhig, zurückhaltend, gutaussehend, mindestens fünf Jahre älter als ich, Ingenieur oder Arzt. Die nächsten Meilensteine wären dann der gemeinsame Schabbes, der #hotjewishboyfriend auf Instagram, der Heiratsantrag nach einem Jahr, die fette jüdische Hochzeit inklusive Chuppa und viele süße Babys als Ergebnis vom hammermäßigen Sex in den Flitterwochen auf Dubai… das alles vor 25, wir hatten ja einen Zeitplan …schon vergessen.
In dieser Wunschvorstellung existierten keine Jungs mit großen Egos, Muttersöhnchen und infantilen Persönlichkeiten sowie Dates, nach denen du das Gefühl hast, dich gleich beim Therapeuten anmelden zu müssen.
Innerhalb meiner Zeit in der jüdischen Bubble sind mir drei bestimmte Archetypen an jüdischen Männern aufgefallen, die ich meiner treuen Leserschaft nicht vorenthalten will:
Der Businness-Schmissnessman Diese Spezies ist sehr gebildet, extrem erfolgreich und ihr natürliches Habitat ist LinkedIn. Er wird dir beim ersten Date oder Treffen alles über seinen Job und seine Position erzählen, aber kaum Zeit haben dir auf deine Nachrichten zu antworten. Es wird immer ein Teammeeting, einen Call oder etwas Berufliches geben, was ihm wichtiger sein wird als du. Diese Art von Mann folgt der Philosophie sich nicht vor 30–35 fest zu binden, groß Karriere zu machen, sich und seine Bedürfnisse zu priorisieren und erstmal alles und jede durchzuprobieren, bevor er dann bei einer „braven“ jüdischen Frau endet, die einfach das „Glück“ hatte, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.
Der Wanderpokal scheint anfangs ganz harmlos und charmant. Er liebt Frauen, kann gut mit Frauen, und höchst wahrscheinlich auch noch ganz andere Dinge sehr gut mit Frauen, aber das ist natürlich nur eine reine Vermutung 😉. Es ist jemand, der schon viele jüdischen Frauen gedatet hat und unter den Frauen bzw. seinen Verflossenen gut bekannt ist, aber aus unerfindlichen Gründen immer noch allein und Single, auf der Suche nach dem nächsten Objekt seiner Begierde.
Der Alphajude ist der geborene Anführer, jeder kennt ihn und sogar die, die ihn nicht kennen, haben von ihm schon einmal gehört – ähnlich wie von einem Promi. Oftmals bekleidet er in der jüdischen Community einen hohen Posten oder ist im Vorstand und repräsentiert das deutsche Judentum im Fernsehen oder in den sozialen Medien. Alle Männer wollen natürlich so sein wie er und alle Frauen wollen ihn f… mit ihm zusammen sein. Auch dieser Alpha ist aus unerfindlichen Gründen noch allein.
Ich möchte darauf hinweisen, dass natürlich diese Kategorien verschwimmen können und mit Vorsicht zu genießen sind. Jüdische Männer sind viel mehr als diese drei Kategorien und es gibt mindestens genauso viele, die aus diesem Raster fallen. Aber Thema dieses Artikels sind nun einmal diese „Exemplare“. Alles, was diese Männertypen vereint, ist oftmals ein attraktives und ansprechendes Äußeres, ein sehr großes Ego sowie Hoffnungen und unrealisierte Träume von jüdischen Migraeltern, insbesondere Müttern, die diese scheinbar mit der Muttermilch aufgesogen haben. Es war die beste Schule, DER Studiengang und DIE Uni. Von klein auf wurde ihre Einzigartigkeit unterstrichen, die zum Image eines „guten jüdischen Jungens“ beigetragen hat. Etwas, was aber vergessen wurde, ist ein respektvoller und wertschätzender Umgang mit Menschen und vor allem Frauen. Das Paradoxe ist, dass für sie scheinbar nach post-sowjet Maßstäben die normalen Regeln nicht gelten. Anders als Frauen können sie sich austoben, ohne, dass ihnen ständig gesagt wird, ihre biologische Uhr tickt. Sie werden gefeiert und kommen bei Frauen trotzdem gut an – neben der scheinbaren Mangelware an jüdischen Männern auf jüdischen Events. Und genau dieser Umstand wird von ihnen bewusst oder unterbewusst ausgenutzt. Frei nach dem Motto, wenn man jede haben kann, kann man halt jede haben…
Hunderte Jahre von Unterdrückung, Antisemitismus und Diaspora und das, was wir haben, sind Muttersöhnchen oder eben Männer, die denken sie seien ein großes Geschenk.
Aber fragt ihr euch nicht auch manchmal, was genau für eine Geschichte hinter so einem Geschenk steckt? (Fortsetzung folgt)
In dieser fortlaufenden Kolumne freue ich
mich, künftig auch eure persönlichen
Geschichten zu erzählen!