Mit Erinnerungslücke gegen den Rechtsruck: Ein linker Abend mit unangenehmem Beigeschmack

Joel Ben-Joseph ist 25 Jahre alt, studiert Philosophie und Englisch auf Lehramt an der HU und schreibt für die linksorientierte politische Hochschulgruppe Tacheles. Nebenbei ist er leidenschaftlicher Ultimate Frisbee Sportler, und hält die doppelte Staatsbürgerschaft für Israel und Deutschland. An seiner Uni engagiert er sich gegen Antisemitismus.

Eindrücke vom Auftrakttreffen Studis Gegen Rechts:

Es war extrem voll. Der Weierstraß-Hörsaal, welcher für 270 Menschen bestimmt ist, platzte aus allen Nähten mit 400 jungen Studierenden aus ganz Berlin. Es ist ein sehr erfreulicher Fakt, dass so viele Leute Bock haben sich zu organisieren, um die AfD zu bekämpfen. Die SDR-Orga wirkte beim Eintritt der Masse in den Saal total überfordert und „krass wie viele hier sind“ wurde in der Veranstaltung von jeder Sprecher*in mindestens 10 mal voller Unglauben ausgerufen.

Inhaltlich war es recht simpel: “Die AfD ist doof, lass uns was dagegen machen.” Es war vor allem Stimmungsmache, der Versuch, so viele wie möglich für eventuelle Gegendemos und AfD-Störaktionen zu mobilisieren. Insgesamt ist die ganze Veranstaltung von einer sehr starken Vorwärtseinstellung geprägt und ich zitiere dafür Paula (19): “Attacke!”. Klingt ja auch eigentlich super.

Hier sind die die Sachen, die ich problematisieren würde: 

Inhaltlich hat mich gestört wie viel vom Rechtsruck gesprochen wurde. Ich verstehe, dass alle sehr geschockt über die Entwicklung der AfD sind. Aber wer ein bisschen Erinnerungskultur betreibt, bzw. um das Versagen der gesamtdeutschen Erinnerungskultur weiß, weiß auch, dass Deutschland schon immer rechts und rassistisch (und antisemitisch, aber dass erwähnt hier keiner, wäre ja wahrscheinlich auch zu kontrovers) war und nun noch immer ist. Das Wähler verschiedener Parteien nun seit einigen Jahren sich zur AfD wenden, liegt nicht daran, dass diese Menschen auf einmal ihre politische Gesinnung vollständig geändert haben. Sondern daran, dass nun endlich eine Partei ihre Gesinnung vollständig und unapologetisch ausdrückt. Wo die CDU im Hinblick auf anti-migrantische Politik bisher rassistische Wähler bediente, bedienten die Linken das Bedürfnis auf verkürzte Kapitalismuskritik und antisemitische Verschwörungsmythen. Die AfD bedient beides! Wie praktisch.

Jedenfalls wurde natürlich auch bei diesem Auftakttreffen die verkürzte Kapitalismuskritik nicht vermisst und der Sprecher, der meinte, er habe bisher nur Klima-Aktivismus betrieben, kritisierte wie die fünf reichsten Familien Deutschlands mehr Geld hätten als der Rest Deutschlands. Dies mag faktisch stimmen, ist aber dennoch ein für Antisemitismus leicht anschlussfähiges Trope bei welchem die Schuldhaber an der wirtschaftlichen Misslage auf einige wenige reduziert werden. Aber da ja damit noch nicht genug Antisemitismus reproduziert wurde, zitierte der gleiche Sprecher anschließend unkritisch das antisemitische Weltbild eines Busfahrers den er bei einem Gewerkschaftstreffen kennenlernte: „Früher hab ich links gewählt, jetzt die AfD. Das mit der Revolution hab ich aufgegeben, denn gegen die da oben kommt man eh nicht an.“ Der Sinn dieses Zitats war eindeutig zu sagen: Doch Revolution geht! Gegen „die da oben“ kommen wir an. Weil wir sind jung. Und viele. Und so… Attacke!

Naja. Gute Sache, ist ja gegen die AfD! Ich will diese Bewegung auch sicher nicht vollständig diskreditieren. Ich äußere hier eher so meine persönlichen “Icks” und reflektiere dabei produktiv darüber, warum ich als eigentlich immer links politisierte und jüdische Person mich aus Sorge vor Antisemitismus lange ferngehalten habe von politischer Organisierung und Aktion.

Diese Sorge war auch durch ein paar unerfreuliche Figuren im Publikum bestätigt:
Eine mir sehr unangenehme Schulbekanntschaft, die bei der antisemitischen und linksextremistischen Zeitung Klasse gegen Klasse ist. Die früheren Namensgeber dieser Zeitung sind für eine Reihe von Brandanschlägen und Explosionen auf Orte, welche Reichtum symbolisieren, zwischen 1992 und 2003 verantwortlich. Diese Bekanntschaft wollte mir damals meine Solidarität mit meinem Herkunftsland Israel ausreden, mit dem Argument, dass Zionismus ein zutiefst rassistisches Unterfangen sei. Es ist zu hoffen, die SDR behält ihren Fokus auf der Bekämpfung der gesichert rechtsextremen AfD und meint nicht auf einmal der wahre Feind sei der Weltzionismus oder ein ähnlich dummes Geschwurbel. 

So! Ich hoffe, meine Analyse war nicht zu unsympathisch. Ich tu mich zudem auch schwer mit so Stimmungsmache in großen Gruppen. Das löst in mir ein sehr unbehagliches Bauchgefühl aus. Also an sich ist „Auf die Barrikaden“ bestimmt inhaltlich ein Grammy-Winner für die Bekämpfung von Faschisten, aber ich fand es dennoch gruselig, wie der ganze Saal sofort eingestimmt hat als der Sprecher nur den ersten Vers ins Mikro zu singen begann.

Alles in allem ist die SDR aus der Sicht eines linken Juden mit gleichzeitiger Sympathie und kritischer Sorge zu betrachten. Die AfD ist eine Bedrohung für alle marginalisierten Gruppen in Deutschland und trieft vor Judenhass. Dennoch darf die Bekämpfung dieser nicht auch antisemitische Narrative reproduzieren, sonst drehen wir uns nur weiterhin in der gleichen Spirale des Versagens linker Politik, in der wir uns schon seit Jahrzehnten befinden.