07/12/24
Bericht
Es ist ein verschlafener Montagmorgen im Grimm-Zentrum, an welchem eine eilige Gruppe wissenschaftlicher Mitarbeiter*innen der Humboldt-Universität und der Gruppe Civil Watch Against Antisemitism durch das Foyer des Grimm-Zentrums laufen. Rasch werden Tische, Stühle und Kaffeetassen geholt.
Das Banner mit der Aufschrift „I’m from Israel, Ask me Anything“ wird punktgenau um 11 Uhr aufgehängt und die beiden Aktivist*innen Shay und Hagar ziehen ihre passenden T-Shirts an.
Während der ersten zwei Stunden bleibt es ruhig. Die meisten Menschen laufen vorbei, viele mit einem kurzen Blick auf das Banner, ehe sie im Café nebenan verschwinden. Einige bleiben kurz stehen, bedanken sich bei den beiden Israelis für ihre Arbeit, oder erzählen, dass sie selbst jüdisch sind und sich über ein solches Projekt freuen. Andere wiederum begegnen dem Stand mit skeptischem Blick. Shay versucht einen dieser Studenten direkt anzusprechen und beginnt mit: “Do you have any questions?” Doch der Mann bleibt nicht stehen und antwortet: “I already have all the answers.” Shay versucht das Gespräch fortzuführen: “TikTok doesn’t have all the answers.” Der Mann, bereits beim Verlassen des Foyers, sagt “No, I’m Palestinian. That’s why.” Damit tritt er dann durch die Drehtür und kehrt nicht mehr wieder..
“I already have all the answers.”
Im Gespräch mit Hagar erzählt sie mir von ihrem Leben in Deutschland, das seit dem 7. Oktober von einem erhöhten Bedrohungsgefühl geprägt ist. Sie gibt zu, dass sie sich inzwischen in Israel, einem Land im Kriegszustand, sicherer fühlen würde als hier in Berlin. Trotzdem will sie nicht aus Angst fliehen: „Eines Tages will ich zurück nach Israel, aber nur dann, wenn ich das selbst wirklich will.“
Hagar bleibt stolz auf ihre Identität: „Freunde von mir sagen nicht, dass sie aus Israel kommen. Ich sage immer, dass ich Israeli bin. Ich bin zu stolz, um das zu verschweigen.” Das kann ich gut verstehen. Viele von uns müssen regelmäßig überlegen, wann und wie die eigene Identität offenbart werden kann.
“Eines Tages will ich zurück nach Israel, aber nur dann, wenn ich das selbst wirklich will.”
Ein anderer Mann betritt das Foyer, entdeckt den Stand und bleibt stehen. Er nimmt seinen schwarzen Rucksack im Militärstil ab, auf dem eine Palästina-Flagge prangt, und stellt ihn demonstrativ vor sich ab. Nachdem er einige Zeit im Rucksack gekramt hat, zieht er ihn wieder auf, meidet den Blickkontakt mit Shay und Hagar und setzt sich ins angrenzende Café. Dort platziert er den Rucksack mit der Flagge erneut so, dass sie in Richtung des Stands zeigt. Doch wie viele mit einer kritischen Haltung, die dem Stand begegneten, nahm er auch den Gesprächsraum nicht in Anspruch.
Bis 14:30 Uhr, kurz vor dem geplanten Ende der Aktion, bleibt der Austausch eher verhalten. Die Broschüren “Mythos#Israel1948” von Masyiot e.V., die am Stand ausliegen, werden rege mitgenommen – ein Zeichen dafür, dass das Thema interessiert. Offensichtlich ziehen es viele vor, sich mit den Themen in einem anderen Rahmen auseinanderzusetzen, anstatt direkt mit Menschen zu sprechen, die von relevanten Lebenserfahrungen berichten können.
Trotzdem gibt es Lichtblicke: Die letzte halbe Stunde unterhalten sich noch zwei junge Menschen intensiv mit Hagar und am Nachbartisch führt Shay ein Gespräch mit einem weiteren Interessierten. Die wenigen Dialoge, die zustande kommen, scheinen vor allem von Neugier geprägt zu sein.
Während ich im Café sitze und diesen Artikel schreibe, höre ich die Diskussion zweier Männer am Nebentisch. Ihr Gespräch zeigt, wie polarisiert die Wahrnehmung solcher Projekte sein kann.
„Die sind safe bezahlt. Das ist politischer Aufwand für Agitation.“„Was mich daran stört“, setzt der andere an, „ist, dass die sich da als Staatsangehörige eines Staates hinsetzen und sagen: ‘Frag mich alles.’ Aber es geht gar nicht um ihre Staatsangehörigkeit, sondern um ihre Regierung. Das wäre so, als würde ein Afghane sagen: ‘Frag mich alles’, und dabei geht es eigentlich um die Taliban. Die wollen doch nur ablenken.“
Fazit:
Der erste Tag des Projekts „I’m an Israeli, Ask me Anything“ zeigt, wie schwierig es ist, mit vorgefassten und teils sehr verhärteten Meinungen in einen aufrichtigen Dialog zu treten. Viele bleiben lieber bei ihrer eigenen Perspektive – sei es durch Ignorieren des Standes, durch demonstrative Gesten oder durch eine direkte Ablehnung des Diskurses. Doch die Gespräche, die stattfinden, geben einen Einblick in die Herausforderungen, die Israelis wie Shay und Hagar täglich erleben – und in ihren Mut, den sie aufbringen müssen, um ihre Geschichten zu erzählen, selbst wenn nicht jede*r bereit ist zuzuhören.