Mit Hannes Sulzenbacher, Chefkurator des Jüdischen Museum Wiens
Angelika Ginzburg Gurov
Ressort Kunst & Kultur EDA
Welche Aspekte sind für Sie als Chefkurator in einem jüdischen Museum wichtig?
Grundsätzlich glaube ich, dass wir das Glück haben, in einem jüdischen Museum der Öffentlichkeit darzulegen, dass jüdische Geschichte nicht nur Verfolgung und Ermordung bedeutet. Ich glaube viele Menschen erleben Judentum oft nur im Kontext von Verfolgung, Holocaust oder Shoah. Und die können ja auch gar nichts dafür. Es ist aber wichtig, Jüdinnen und Juden als Akteure zu zeigen, die die Stadtgeschichte geprägt haben, sie teilweise ausgemacht haben. Ein jüdisches Museum kann paradigmatisch darstellen, wie eine Mehrheit mit Minderheiten umgehen kann. Die aktuellen politischen oder allgemeinen Herausforderungen sind jedoch komplex, da Museen generell träge Institutionen sind.
Wie gehen Sie mit aktuellen politischen Herausforderungen, Antisemitismus oder der Shoah um?
In einer guten Dauerausstellung sind Themen wie Retraumatisierung, Antisemitismus nach der Shoah und die prekäre Situation des Staates Israel bereits verankert. Diese Aspekte sollten regelmäßig eine Rolle spielen und tragen dazu bei, den Kontakt zur Gegenwart aufrechtzuerhalten, sofern alles gut läuft. Es ist die Aufgabe eines Museums, sich in das Zeitgeschehen einzumischen, aktuelle Themen aufzugreifen, die im wahrsten Sinne des Wortes auf der Straße liegen, und einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten.
Angesichts der politischen Eskalation weltweit frage ich mich: Kann das jüdische Museum zum pazifistischen Instrument und Echo für das Streben nach Sicherheit für Juden und Jüdinnen sein?
Auf jeden Fall. In unserer aktuellen Ausstellung zum Thema Frieden zeigen wir, wie viele Friedensgedanken und -ideen von Jüdinnen und Juden unterstützt wurden und werden. Diese Ausstellung soll die BesucherInnen dazu befähigen und ermutigen, zu denken: Wenn diese Person das kann, kann ich das auch. Soll sie ermächtigen oder dazu anregen, zu erkennen, dass Frieden unter anderem ein zutiefst jüdisches Thema ist. Wir präsentieren, wie Jüdinnen und Juden in verschiedenen Friedenstheorien und Friedensbewegungen aktiv waren, wobei religiöse Ursachen nur bei wenigen eine Rolle spielen. Vielmehr basiert dies oft auf der „jüdischen Erfahrung“, die man nicht unbedingt selbst erlebt haben muss, sondern als Teil der jüdischen Erfahrung mitlernt. Die Ausstellung stellt die Frage, welche Bedeutung Frieden für Juden hat und welche jüdischen Persönlichkeiten eine Schlüsselrolle in Friedenskonzepten spielen. Wir untersuchen, ob Persönlichkeiten wie Hans Kelsen, der die österreichische Verfassung schuf, der Ansicht sind, dass Frieden durch Recht und Gesetze geregelt werden kann. Auch betrachten wir Figuren wie Jella Herzka, eine jüdische Feministin aus den 20er-Jahren, die sich automatisch in der Friedensbewegung engagierte. Frauen und Frieden sind zentrale Themen, und es fällt auf, wie viele Jüdinnen weltweit sich in verschiedenen Kontexten für die Verbindung von Frauen, Feminismus und Friedensbewegungen einsetzen.
Ich bedanke mich recht herzlich bei Ihnen, Hannes Sulzenbacher, für Ihre Zeit und das Interview.
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