Die erste jüdische Studentenzeitung in der Bundesrepublik?

09/07/2024

Marie Ch. Behrendt ist Historikerin und deutsch-hebräische Lyrikerin. Als Koordinatorin für Jüdische Studien an der Universität Potsdam lehrt und forscht sie im Bereich Judentum und Medien.

Wer kennt ihn nicht, den Spruch „Wer ein Haus baut, will bleiben“? In den 1950er Jahren hat ihn so mancher Funktionär anlässlich einer Synagogeneinweihung bemüht. Und was ist mit diem, dier eine jüdische Zeitung gründet? Dier hat wohl etwas zu sagen – anderen Juden und Jüdinnen, der Welt. Das galt für die 1946 gegründete „Jüdische Allgemeine“ und auch für das „Mitteilungsblatt der Jüdischen Studentenvereinigung in Berlin“, von der eine Ausgabe aus dem Jahr 1951 im Exilarchiv in Frankfurt am Main überliefert ist. Das kleine auf Schreibmaschine vervielfältigte Blatt erschien in einer Auflage von 250 Stück. Es sorgte sogar international für Aufsehen, schaffte es in die israelische Tageszeitung „Haaretz“.

Es ist allgemein bekannt, dass der Wiederaufbau jüdischen Lebens in Deutschland keine Selbstverständlichkeit war. Wenige Jahre nach der Shoah betrachteten viele die jüdischen Gemeinden in Deutschland als Liquidationsgemeinden, als Auslaufmodell. Dass die Frage des „Gehen oder Bleiben“ vor allem im Ausland mit einem klaren „Gehen!“ und vom Zentralrat als bewusstes „Bleiben!“ beantwortet wurde, ist weniger bekannt.

Wie beurteilten die jüdischen Studierendenvertreter das damals? Auch sie loteten ihre Zweifel in ihrem Mitteilungsblatt aus. Student S.M. berichtet von einem Treffen jüdischer Studenten in Urfeld. Dort wurde der Vorschlag diskutiert, eine Dachorganisation jüdischer Studentenvereinigungen zu gründen. Es herrschten „Bedenken“, „wie jüdische Studenten im Auslande dies auffassen würden.“ Dem gegenüber meinten viele, dass es „geradezu ein Gebot der Stunde sei, eine solche Körperschaft zu schaffen, da an verschiedenen Universitäten einzelne jüdische Studenten zurückgeblieben sind, denen der Kontakt mit den anderen gänzlich fehlt.“ Jewish solidarity at its best.

In einem anderen Beitrag berichtet R. Moser von seinen „privaten Eindrücken“ auf der Weltkonferenz des Liberalen Judentums in London. Auch dort diskutierte man die verbleibenden Juden und Jüdinnen in Deutschland konträr. Allerdings sah man auch, dass die „jüdische Deutschlandfrage“ in einem größeren Kontext stand. Hatte sich nicht die gesamte Diaspora nach der Staatsgründung Israels im Jahr 1948 erledigt? Moser war hier eindeutig: Die Konferenz habe „die durchaus berechtigte Grundauffassung der jüdischen Existenz bestätigt, daß neben Israel, dem Zufluchtsort, dem Sammelpunkt und der Erneuerungsquelle des jüdischen Volkes, auch die Diaspora […] Existenzberechtigung hat, die […] dem Gesamtjudentum die geistigen Abwehrkräfte gibt, deren es zum Leben innerhalb der nichtjüdischen Welt nun einmal bedarf.“

Von diesen theoretischen Erwägungen abgesehen, ist der Ton des Mitteilungsblattes düster. Die Autoren wollten den anhaltenden Antisemitismus der Deutschen und dieses Land hinter sich lassen, ihre „Zukunft nicht aus Ruinen und Trümmern aufbauen“. Hinzu kamen wirtschaftliche Nöte. Viele Studierende waren gezwungen „neben ihrem Studium zu arbeiten, was dieses natürlich stark beeinträchtigt“. So lang her, so aktuell…

Abbildung: Die erste Seite des Mitteilungsblattes der Jüdischen Studentenvereinigung Berlin, 30. 9. 1951, Quelle: Deutsche Nationalbibliothek, Deutsches Exilarchiv 1933-1945, Frankfurt am Main

Quelle: Deutsche Nationalbibliothek, Deutsches Exilarchiv 1933-1945, Frankfurt am Main