05/07/2024
Antonia Sternberger über ihre Erfahrung von Ausgrenzung in sogenannten „safe spaces“.
Es ist ein Mittwochmittag im Februar, als ich X (vormals Twitter) öffne, um zu schauen, was es Neues auf meiner Timeline gibt. Statt Bildern, Videos oder Tweets über die koreanische Band BTS, deren Fan ich bin (sog. Army), ging einer meiner Tweets viral und ich wurde über Stunden mit antisemitischen und antizionistischen sowie gewalttätigen Tweets überrannt. So wurde mir nicht nur ständig mitgeteilt, dass Zionisten alle verbrannt gehören, man mich vergewaltigen solle, ich mich selbst erschießen solle, sondern auch, dass ich als Zionistin keinen Platz in der Fandom hätte, mich nicht als Army bezeichnen dürfe. All dies war eine Reaktion auf einen Tweet meinerseits, indem ich den seit dem 07.10. eskalierten Antisemitismus innerhalb der Fandom anprangerte. Die Antworten und Hasstiraden auf meinen Tweet bestätigten nicht nur seinen Inhalt, sondern führten mir ein weiteres Mal vor Augen, wie verbreitet und gefährlich Antisemitismus in vermeintlich progressiven Internet-Communities ist.
Dass dieser sich online rasant verbreitet, ist schon längst kein Geheimnis mehr. Doch wird selten über die kleinen Welten und Gesellschaften gesprochen, die sich im Internet gebildet haben – Fandoms. Sind sie doch ein Ebenbild unserer Gesellschaft – oder sollte ich lieber ein radikalisiertes Ebenbild sagen? Nicht nur meine Fandom, Army, macht seit dem 07. Oktober durch Antisemitismus, Israel-Boykott und das Verbreiten von Hamas-Propaganda auf sich aufmerksam. Es gibt keinen Ort auf Social Media, der nicht von Antisemiten und antisemitischen Inhalten gekapert wird – Swifties, Dr.-House-Fans, Kanye West Fans, ESC-Anhänger. Sie alle haben rote Winkel (Zeichen der Unterstützung der Hamas), Melonen oder Palästinaflaggen in ihren Namen oder Bios stehen. Sie alle dämonisieren Israel, werfen dem einzigen demokratischen Staat im Nahen Osten einen Genozid gegen die Palästinenser in Gaza vor, nennen ihn einen Apartheidstaat und greifen Juden, Israelis und Zionisten an.
Viele von ihnen sind Gen-Z, müssten sich eigentlich mit dem Internet auskennen, machen sich über die Internet-Illiteralität ihrer Eltern lustig und werden doch selbst zum Spielball ausgefeilter Hamaspropaganda. Bereits am 07. Oktober, während das Massaker der Hamas live über ihre GoPro-Kameras auch auf X gestreamt wurde, offenbarte sich mir eine soziale Härte und ein Hass von Armys, den ich so nicht für möglich gehalten hätte. Videos, in denen zu sehen ist, wie Terroristen der Hamas und Zivilisten aus Gaza, junge Frauen blutig vergewaltigt, entführen, Kinder verschleppen, jungen Männern die Köpfe abhacken, Familien und Freunde lebendig verbrennen und niederschießen, lösten keine Trauer, kein Entsetzen aus. Keine Solidarität – es geschah das Gegenteil. Am 07. Oktober feierte eine Fandom, die mehrheitlich aus jungen Frauen besteht, die massenhafte Vergewaltigung, Ermordung und Entführung von Frauen, Männern und Kindern ohne ein Hauch von Mitgefühl – weil die Opfer Israelis waren.
In den Tagen, Wochen und Monaten darauf entfaltete sich eine Art kollektives Denken – Menschen, die kein Wissen zu dem Konflikt hatten, „informierten“ sich über TikTok, Instagram-Reels und tauchten ein in eine Welt, die ganz schwarzweiß war. In der das Opfer und der Täter klar benannt, alles ganz einfach und ganz ungerecht schien. Sobald Israel anfing sein Recht auf Selbstverteidigung auszuüben und den Gaza-Streifen anzugreifen, um die Hamas zu vernichten sowie die Geiseln zu befreien, bestand meine Timeline nicht mehr aus BTS, sondern aus Genozid und Apartheids-Vorwürfen, Propaganda, falschem Geschichtswissen und sehr viel Hass.
Von diesem war und bin ich nicht die Hauptbetroffene, sondern jüdische und israelische Armys. Diese, von denen ich einige Freunde nennen darf, haben mittlerweile alle ihre Profile auf privat gestellt. Zu anstrengend, zu traumatisierend waren die täglichen Todesdrohungen, Beleidigungen, die sie von anderen Armys erhielten. Ganz unerheblich, ob sie sich zum Konflikt äußerten oder nicht. Meine Freundin Shaked, die bereits seit 2016 Army und Teil der Fandom ist, berichtet mir, dass der Antisemitismus innerhalb von Army- Twitter sie nicht überrascht hätte, so seien israelische Armys wie sie bereits 2021 diskriminiert worden. Dennoch habe sie die Reaktion der Community auf den 07. Oktober in ihrer Heftigkeit und Mitleidlosigkeit enttäuscht. Dass gerade eine Gemeinschaft, die sich sonst immer gegen Rassismus und für Toleranz einsetze, mit so einer zur Schau getragenen Freude und so einem Stolz ihren antisemitischen Wahn auslebt, bestürzt sie. Eine weitere Bekannte, May, stellt resigniert fest, dass Fandoms, insbesondere Army, eigentlich ein sicherer Ort für jeden sein sollten, doch dass dieses Versprechen für Juden und Israelis schon seit langem nicht mehr gelte.
Am zermürbendsten sind jedoch nicht die Drohungen sondern die Boykott- und Diskriminierungskampagnen. Es vergeht kein Tag, an dem nicht zum Boykott von Scooter Braun (Hybe America CEO, Hybe ist die Muttergesellschaft des Managements von BTS) aufgerufen wird, der „evil“ und ein „Zionist“ sei. Sein Vergehen – er besuchte die betroffenen Kibbuzim in Israel und warb für die Freilassung der Geiseln. Warum die „Freedom fighter“ unterstützenden Armys ihm Todesdrohungen und Hass zusendeten, als er sich einen Davidstern stechen ließ, lässt sich erahnen.
Neben Scooter Braun werden jedoch auch alle israelischen und zionistischen Armys boykottiert. Tagtäglich wird uns mitgeteilt, dass wir keinen Platz in der Fandom hätten, dass man uns noch mehr diskriminieren solle, dass BTS „auf uns spucken würde“, dass wir nicht nur aus der Fandom sondern von der ganzen Erde verschwinden sollten. Argumentiert man für Frieden, für eine Zweistaatenlösung, ist das nicht genug. Denn eine Ansicht überwiegt: Zionisten (ergo Juden/Israelis) hätten keinen Platz auf der Welt und Palästina hat ein judenfreier Staat zu sein. Die Propaganda fruchtet.
Die Überzeugung, die all diese Armys, die exemplarisch für alle anderen Fandoms stehen, eint, ist, nicht antisemitisch zu sein. Allerdings gibt es für das, was seit dem 07. Oktober auf Army-Twitter, in einer Bubble, die eigentlich ein Safe Space sein sollte, nur ein Wort: Antisemitismus.
Und für mich eine Überzeugung: Ich plädiere für eine Fandom-Kultur, die geprägt von Toleranz, Austausch und Diskussion ist. Meine israelischen und jüdischen Moots und ich haben mittlerweile unsere eigenen kleine Army-Ecke auf X geschaffen, geprägt von lebhaften Diskussionen und vor allen Dingen – BTS. Denn diese leisten aktuell ihren Militärdienst in Südkorea ab und propagieren weiterhin Toleranz, Offenheit und Empathie. Um es mit Shakeds Worten zu sagen: Army ist, wer BTS streamt und sie unterstützt und das kann uns niemand nehmen. Auch kein Antisemitismus.