von Hanna Veiler
Von Widerstand und anderen zu abstrakten Begriffen
All my life, I’ve been waitin‘ for
I’ve been prayin‘ for, for the people to say
That we don’t wanna fight no more
There’ll be no more wars, and our children will playOne day (one day), one day (one day)
One day (oh-oh-oh)
One day (one day), one day (one day)
One day (oh-oh-oh)
Ich starre auf mein Handy und schaue mir immer wieder dasselbe Video an. Junge Menschen sind darauf zu sehen, die sich in einem Brüsseler Wohnzimmer versammelt haben, um gemeinsam zu tanzen, zu singen und um kurz glücklich zu sein. Im Hintergrund spielt „one day“ von Matisyahu, ein Lied für den Frieden, das einige von Ihnen aus voller Kehle mitschreien. Sie stehen im Kreis, lachen und halten sich in den Armen.
Alle auf diesem Video haben in den letzten Monaten kein einfaches, kein normales Studierendenleben gehabt. Alle von ihnen sind jüdische Student Leader aus ganz Europa. Sie leben ihr Judentum unterschiedlich aus, haben verschiedene kulturellen Bräuche und Hintergründe. Und doch machen sie alle eine schmerzhaft ähnliche Erfahrung. Sie alle leben seit über 13 Monaten in einer anderen Welt.
Während ich diesen Text schreibe, sind junge Jüdinnen und Juden aus ganz Europa auf dem Weg nach Frankfurt, um an einem Shabbaton der JSUD und des Verbands Jüdischer Studierender Hessen teilzunehmen. Für ein Wochenende soll es um jüdischen Widerstand und jüdische Resilienz gehen und das in Frankfurt, der Stadt mit der wahrscheinlich spannendsten jüdischen Widerstandsgeschichte Deutschlands.
In den darauffolgenden Tagen wird viel diskutiert. Über Fritz Bauer, die Frankfurter Bühnenbesetzung, den Jüdischen Frauenbund und vor allem darüber, was unsere Geschichte(n) für unser Leben im Hier und Jetzt bedeuten.
Resilienz und Widerstand sind dabei eigentlich Begriffe, die ich nicht mehr hören kann. Sie sind Begriffe, die in den letzten Jahren so inflationär verwendet wurden, dass kaum noch jemand weiß, was er oder sie meint, wenn sie sie benutzen. Und vor allem, kommen mir beide Begriffe mittlerweile vor wie hilflose Pflaster, die wir auf unsere Wunden kleben.
Dabei ist jüdische Geschichte zweifelsfrei eine Geschichte voller Resilienz und Widerstand, voller kämpfen und weitermachen, fast nach dem Motto: hinfallen, aufstehen, Krone richten. Trotzdem wird sie in den deutschen Medien und der deutschen Erinnerungskultur stets als Geschichte der Unterdrückung und der Passivität erzählt. Den Widerstand und den Überlebenswillen sichtbar zu machen, war schon immer zentraler Bestandteil der politischen Arbeit zahlreicher jüdischer Organisationen. Und doch wünsche ich mir, dass wir uns ab und an erlauben könnten, weniger widerständig sein zu müssen.
Vor einigen Wochen stand ich vor den Überresten des Bunkers, in dem sich die Held:innen des Warschauer Ghettos organisierten. Ich lese ihre Namen und Geschichten, die viel zu vielen weiterhin unbekannt sind. Und ich wünsche mir dabei, diese jungen Menschen, hätten nie zu Held:innen werden müssen. Ich wünsche mir, sie hätten ein Leben in Frieden führen können. Eines, das nicht in den Grabkammern geendet hätte, wie für fast alle von ihnen.
Von Warschau über Frankfurt nach Brüssel – Widerstand war und bleibt Bestandteil unserer Existenz. Egal, ob in der Diaspora oder Israel. Solange es Antisemitismus gibt, werden wir uns wehren müssen. Doch diese Wehrhaftigkeit findet auf vielen unterschiedlichen Wegen statt. Dann, wenn wir in dunklen Zeiten in einem Brüsseler Wohnzimmer feiern und aus voller Kehle Lieder für den Frieden schreien. Dann, wenn wir uns versammeln, lernen, diskutieren und gemeinsam neue Wege beschreiten. Dann, wenn wir unsere Geschichte(n) kennen und sie selbstbestimmt erzählen. Dann, wenn wir selbstwirksam sind und füreinander einstehen. Und vor allem dann, wenn wir daran glauben, dass es jüdischen Widerstand irgendwann vielleicht nicht mehr braucht. Weil wir endlich in einer Welt leben werden, in der wir uns nicht mehr wehren müssen.