Über die AfD und ihre jüdischen Stimmungsmacher

von Simona Cukerman

Eines gleich vorweg: Die Auseinandersetzung mit diesem Thema hat einem Zahnarzttermin geglichen. Es war unangenehm und zugleich unvermeidbar. 

Es geht um die AfD.

Neonazi-Wähler und rechte Spinner – darauf lässt sich die AfD keinesfalls mehr reduzieren. Die teils als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestufte Partei hat die Vorstellung einer isolierten Randgruppe längst überholt und erreicht ein breites Wählerspektrum. Jeder Fünfte1 in Deutschland gibt ihr seine Stimme. Rund 21 Prozent aller in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund2 könnten es sich vorstellen, die AfD zu wählen.

Innerhalb der AfD gibt es sogar eine jüdische Vereinigung – eine kleine, allerdings keine repräsentative Gruppe. Die JAfD wurde 2018 gegründet und zählt laut eigenen Angaben 20 Mitglieder und 60 Geldgeber. 

Da stellt sich die Frage: Wie kann es sein, dass Menschen, die Teil einer Minderheit sind, sich der AfD anschließen? Dass sie in ihr eine Alternative zu demokratischen Parteien sehen – einer Partei, die demokratische Werte zwar beansprucht, aber nicht vertritt? Menschen, die Gedächtnisträger des Holocaust sein sollten. Die Nachfahren derer sind, die das Ziel von Hass und Diskriminierung durch rechte Ideologien waren. Und nun an der Seite von Rechtspopulisten stehen, rassistische Narrative verbreiten und antisemitische Verschwörungstheorien normalisieren, sich queer- und frauenfeindlich positionieren.

Ich habe mich dazu entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen. 

Konservativ – so klingt oberflächlich betrachtet die Stellungnahme des JAfD-Parteivorsitzenden Artur Abramovych. Man wolle ein Ansprechpartner für jüdische Themen innerhalb der AfD sein, das proisraelische Profil der Partei schärfen, das Beschneidungsverbot aus dem Parteiprogramm heraushalten. Doch dann kippt der Ton und die Inszenierung als vermeintliche Interessenvertretung wird schnell fragwürdig.

„Ein Jude, der nach dem 7. Oktober 2023 seine Priorität noch immer in der Erinnerungskultur sieht, hat den Schuss nicht gehört“, so Abramovych. Statt des „Gedenktheaters“ solle sich die Gesellschaft mit den „tatsächlichen“ Bedrohungen für das jüdische Leben auseinandersetzen, wie etwa „muslimischen Judenhassern“ und der „politischen selbsthasserischen Linken“. Ein Jude in Deutschland müsse sich für ein Ende „der Masseneinwanderung von Muslimen“ einsetzen, der „Zwangsrückführung illegaler Einwanderer“ sowie dem Ende der „staatlichen Förderung linksradikaler Kulturinitiativen“, sagt Abramovych. 

Der Holocaust sei für die JAfD nichts, was Juden heute noch zu interessieren habe.  Eher eine Opferrolle, in die sie sich gesteckt fühlt. Vor Stolpersteinen könne sich das Land ohnehin nicht mehr retten, meint Abramovych. 

Ich frage mich, ob das Vergessen der eigenen Geschichte eine moralische Erleichterung verschafft. Doch was bedeutet es für unser historisches Verständnis und die Gesellschaft, wenn das Leid der Holocaust-Opfer relativiert wird – und welche Folgen hat es insbesondere für Minderheiten?

Deswegen frage ich Abramovych, wie die JAfD sicherstellt, dass ihre Positionen nicht in Islamophobie abgleiten und den interreligiösen Dialog belasten. Schließlich behauptet die AfD von sich, sich um „das Volk“ kümmern zu wollen, zu dem ja auch Muslime zählen. 

Der JAfD-Parteivorsitzende reagiert mit seiner persönlichen Haltung: „Ich habe keine Angst vor dem Islam“, sagt Abramovych. „Ich habe die Religion recht eingehend studiert und sie für dumm befunden. Sie gehört schlichtweg nicht hierher (…). Ein Jude, der sich heute Sorgen um die Ausbreitung von Islamophobie macht, sollte am besten nach Neukölln gehen und dort öffentlich kundtun, dass er Jude ist; das würde ihm die Verwendung des Begriffs sowie jede naive Hoffnung auf einen interreligiösen Dialog austreiben.“

Der JAfD geht es leicht von der Hand, unter dem Deckmantel des Schutzes von Juden Muslime zu verallgemeinern, alle über einen Kamm zu scheren. Man bekommt fast den Eindruck, dass die JAfD absichtlich übersieht, dass der Islam – genauso wie das Judentum – vielfältig ist und dass ein Dialog zwischen den Religionen weiterhin nötig ist, um Vorurteile abzubauen. Stattdessen schürt der JAfD-Parteivorsitzende Intoleranz auf beiden Seiten. Mit provokanten Aussagen und der Ablehnung jeglichen Austauschs blockiert die Partei den Weg, durch Gespräche und Bildung ein besseres Verständnis füreinander zu schaffen und echte Sicherheit zu gewährleisten. Anstatt sich für Schutzräume für alle Minderheiten einzusetzen – was übrigens auch die politische Linke oft versäumt – trägt die JAfD aktiv zur Spaltung bei.

Oder hat die JAfD recht? Sind Jüdinnen und Juden in Deutschland tatsächlich größtenteils vom islamischen Antisemitismus betroffen? 

Sachbeschädigung, Hetze, körperliche Attacken: Antisemitische Straftaten in Deutschland sind ein Problem und sie steigen. Der Mediendienst Integration3 hat diese Übergriffe ausgewertet – anhand von Daten des Bundestags und des Bundeskriminalamts. Es heißt, dass in den ersten drei Quartalen 2024 3.370 antisemitische Straftaten erfasst wurden, davon 89 Gewalttaten. Im Vergleich dazu wurden im gesamten Jahr 2023 5.164 antisemitische Straftaten erfasst, davon 148 Gewalttaten. 

Nun kommen wir jedoch zu dem entscheidenden Punkt – der Frage, wer dafür verantwortlich ist. 

Während die AfD Vorfälle wie in Magdeburg und Aschaffenburg exemplarisch dazu nutzt, um ihr politisches Narrativ der „muslimischen Judenhasser“ zu festigen und die Schuld auf Migranten zu schieben, belegen Zahlen die Realität: Laut einer Auswertung des Mediendienstes Integration4 waren „rund 60 Prozent der Straftaten 2023 auf das rechte Milieu zurückzuführen, rund 23 Prozent einer ausländischen Ideologie“. 

Kurz gesagt: Die AfD behauptet Halbwahrheiten. Der Anteil der „nichtdeutschen Tatverdächtigen“, wie es bei der aktuellen Auswertung des Bundeskriminalamts heißt, steigt. Doch sei es darauf zurückzuführen, dass diese Bevölkerungsgruppe an sich zunimmt. Mehr Menschen – mehr Straftaten. Von den insgesamt 2.017.552 Tatverdächtigen im Jahr 2023 waren 34,4 Prozent nichtdeutsche Staatsbürgerinnen und -bürger, heißt es weiter. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass über 65 Prozent der Straftaten in Deutschland von Deutschen verübt wurden.

Bei Straftaten ist das rechte Auge der JAfD auffällig blind. Aber vielleicht geht es der JAfD zumindest um jüdische Interessen? 

Bis auf den Hinweis, dass die JAfD das Beschneidungsverbot in Deutschland aus dem Parteiprogramm halten will und sich proisraelisch positioniert, führt Abramovych keine jüdischen Interessen an. Im Gegenteil: Es geht um die Interessen der AfD.  Die Partei wolle „dem Narrativ entgegentreten, dass die AfD judenfeindlich sei“, sagt er. Antisemiten, so Abramovych, gebe es in jeder deutschen Partei. „Worauf es ankommt, sind die Mehrheitsverhältnisse und das daraus resultierende Spitzenpersonal auf der Bundesebene“, schreibt Abramovych.

Beobachtet die JAfD dann zumindest die rechtsextremen Äußerungen der AfD? 

„Die AfD ist die einzige Beschützerin der jüdischen Leute in Deutschland“5, behauptete Kanzlerkandidatin Alice Weidel im Gespräch mit Elon Musk, nachdem sie ihm erklärt hatte, dass Hitler ein antisemitischer Sozialist und kein Rechter gewesen sei. In einem Gespräch mit dem reichsten Mann der Welt, der kurz darauf seinen rechten Arm erhob – wie Hitler einst. Weltweit haben sich jüdische Stimmen gegen das Gesagte von Weidel und gegen Musks Geste positioniert6. Seitens der JAfD sucht man allerdings vergeblich nach Konsequenzen, Statements oder Empörung.

Stolz zeigt sich Abramovych im Gespräch über den Ausschluss von Wolfgang Gedeon aus der Partei – vielleicht, weil die JAfD damit jemanden losgeworden ist, der sie nicht mochte. Das Bundesschiedsgericht hatte 2020 entschieden, dass Gedeon der Partei durch seine antisemitischen Äußerungen Schaden zufügt. Über die JAfD habe er gesagt, dass „deren Gründung ein strategischer Fehler gewesen sei; im ungünstigsten Fall handele es sich um eine zionistische Lobbyorganisation, die den Interessen Deutschlands und der Deutschen zuwiderläuft“, heißt es in einem Artikel der Zeit7. Doch ist es nicht der Verdienst der JAfD allein, dass Gedeon die Partei verlassen musste. Wie es bei der Zeit weiter heißt, habe der „allergrößte Teil der Partei“ Gedeon abgelehnt.

Zudem zeugt es ein weiteres Mal von Doppelmoral, Gedeon (zurecht) zu verteufeln, zugleich jedoch keinerlei Konsequenzen gegenüber Björn Höcke zu ziehen – einem Parteimitglied, das schon 2010 an einem Neo-Nazi-Aufmarsch teilgenommen hat.8 Einem Mann, der an der Seite von Rechtsextremisten demonstrierte und sich regelmäßig holocaustrelativierend äußerte.9 

Es klingt also, als seien Jüdinnen und Juden in der AfD lediglich Mittel zum Zweck.  Darauf reagiert Abramovych auffällig offen: „In der Politik ist alles Instrumentalisierung. Nichts geschieht ohne Hintergedanken zur öffentlichen Wirkung.“

Ein Zweckbündnis zwischen der AfD und ihren Jüdinnen und Juden also, das auf einem gemeinsamen Feindbild basiert. Eine Allianz, die versucht, den Sündenbock zu bekämpfen. 

Und das wiederum wirft für mich weitere Fragen auf, besonders in Bezug auf die politische Verantwortung von Parteien wie der AfD und ihrer jüdischen Stimme. 

Die Geschichte lehrt uns, dass eine Gesellschaft, die auf Feindbildern fußt, keine sicheren Räume baut – weder für Jüdinnen und Juden, noch für sonst wen in Deutschland. Doch wer die Erinnerungskultur ausblendet, hat das wohl längst vergessen. 

  1. Bundestagswahl: Neueste Wahlumfragen im Wahltrend | Sonntagsfrage #btw25 ↩︎
  2. Wie wählen Menschen mit Migrationshintergrund? ↩︎
  3. Antisemitismus | Desintegration | Zahlen und Fakten | MEDIENDIENST INTEGRATION ↩︎
  4. Antisemitismus | Desintegration | Zahlen und Fakten | MEDIENDIENST INTEGRATION ↩︎
  5. weidel-und-musk-ein-gespraech-ohne-kontroversen ↩︎
  6. Aussagen zur Nazizeit: Scharfe Kritik an Musk-Auftritt bei AfD ↩︎
  7. Antisemitismus: AfD schließt Wolfgang Gedeon aus Partei aus | ZEIT ONLINE ↩︎
  8. Aufmarsch am 13. Februar 2010 in Dresden: Björn Höcke Seit‘ an Seit‘ mit Neonazis ↩︎
  9. Höcke-Äußerungen – „Diese Ausflüge in die Zeit des Dritten Reichs sind absolut kontraproduktiv“ ↩︎