Sara Klatt

Sara Klatt habe ich das erste Mal auf einer Veranstaltung des israelischen Vereins “Zikaron Basalon” kennengelernt, was zu Deutsch übersetzt “Gedenken im Wohnzimmer” heißt. Die Zeitzeugin Ruth Winkelmann war eingeladen. Ein Abend, an dem man sich verstanden gefühlt hat, weil man unter Menschen war, die dieselbe Geschichte, die gleichen Gedanken in sich tragen mit einem spannenden und mitreißenden Zeitzeugengespräch, Liedern auf Hebräisch zum Mitsingen und eine kontemporäre Interpretation des Gedichts “Ich bin ein Stern” von Inge Auerbacher, das ich zusammen mit EDA-Redaktionsmitglied Alex Krioukov vorgetragen habe. 

Sara, die selbst bei “Zikaron Basalon” ehrenamtlich mitwirkt, war genauso wie ich tief ergriffen von dem Abend. Wir kamen nach der Veranstaltung ins Gespräch und sie erzählte mir von ihrem Buch “Das Land, das ich dir zeigen will”. Mir war sofort klar, dass wir dafür einen Platz im nächsten EDA-Magazin finden müssen. Deswegen habe ich mich mit ihr heute, ein halbes Jahr später, in der Neuköllner Bar Bajszel getroffen, um mehr über die Entstehungsgeschichte und Saras Gedanken zu erfahren. 

Es ist einer der ersten kalten Winterabende und Saras Glühwein duftet zu mir rüber. Wie bei nahezu jedem Gespräch in der vergangenen Woche tauschen wir uns mit Menschen aus der Bubble über die Ereignisse aus, die sich in Amsterdam zugetragen haben. Beide erschüttert, dass ausgerechnet in Amsterdam ein Pogrom ausgerufen wurde. Dem europäischen Zentrum, das für Weltoffenheit und kulturellen Facettenreichtum geschätzt wird. In der Stadt, in der es schon immer die israelischen Maoz Falafel neben dem syrisch-libanesischen Schwarma Palace stand. Vor allem denken wir darüber nach, dass Amsterdam auch Berlin sein könnte und in vielerlei Hinsicht bereits ist. 

Sara ist Fotojournalistin. Ihre Beiträge wurden bei allen großen israelischen Tageszeitungen veröffentlicht. Räume erschließen, darum ging es Sara in ihrer Arbeit. Doch sie hat oft bemerkt, dass das Magische und Unbekannte verloren geht, wenn es fotografiert wird. Die Kamera kann keine echten, intimen Momente einfangen, weil Menschen sich nicht mehr natürlich verhalten, sobald sie wissen, dass sie fotografiert werden. Texte hingegen wirken nicht sofort beeindruckend, weil sie komplizierter sind. Aber wenn jemand sie liest, können sie ganze Lebensgeschichten und besondere Momente genau und ausführlich beschreiben.

Wir schauen auf den Vorplatz des Bajzels. Eine Polizeistreife parkt im Halteverbot. Andrea, die heute hinter dem Tresen ist, weist mich auf die neuen Fenster hin. Immer wieder wurde das Bajszel in vergangener Zeit mit Hamas-Markierungen beschmiert; die Fenster wurden mit Steinen eingeworfen, sogar einen Brandanschlag hat es gegeben. Andrea zeigt auf das große Fenster gegenüber der Bar: “Den Ruß haben sie aber nicht wegbekommen”.

Saras Buch richtet sich gleichermaßen an eine jüdische oder nicht-jüdische Leserschaft.  Es geht ihr darum, die Komplexität des Landes darzustellen. Wer schon einmal in Israel getrampt ist, der wird sich hier sicherlich wiederfinden, denn die einzelnen sehr persönlichen Geschichten bauen sich wie eine Reise durch das Land auf. Der autofiktionale Roman berichtet darüber hinaus über Themen wie transgenerationales Trauma, die deutsche Vergangenheit, israelische Gegenwart, das Fotoarchiv in Tel Aviv und ungewöhnliche Milieus, wie der Techno Club in Jerusalem. Gerne hätte ich mehr Zeit mit Sara verbracht. Wir verabreden uns für ein weiteres Treffen zu einem unbestimmten Zeitpunkt, um tiefer in Saras Debütroman einzutauchen. 

Das Buch ist bereits vor dem 7. Oktober fertig und editiert gewesen. Um ein zeitgemäßes Nachwort zu finden, hat Sara knapp vier Monate gebraucht, denn sie hatte das Gefühl, dass sie die Sprache wieder finden müsse. “Eine Sprache zu finden für etwas, wofür es keine Sprache gibt.” Wir denken über Adorno und Paul Celan nach, die nach den traumatischen Erfahrungen der Shoa ähnliches beschrieben haben. Ihr Großvater hat die Shoa überlebt und ist 1948 nach Israel emigriert. Es scheint mir, als würde sie mit ihm zusammen seine traumatischen Erfahrungen verarbeiten und gleichzeitig unbewusst die Aktualität in “Das Land, dass ich dir zeigen will” widerspiegeln.