Wieder eine Großveranstaltung ohne israelische Kunst oder die einzig vertretbare Position?
Kommentar von Maya Roisman
17.04.24.
Mit einem Zettel an der Eingangstür: Ruth Patir und ihr kuratorisches Team weigern sich, den Israel Pavillon auf der Biennale zu eröffenen, bis ein Waffenstillstand und Deal für die Geiseln ausgehandelt wurde.
Einseitige Forderungen nach einem ceasefire, offenbaren häufig selektiven Humanismus, statt eines authentischen Bedürfnisses nach Frieden in der Region, in dem sowohl palästinensische als auch jüdisch-israelische Lebensrealitäten und Ansprüche auf Selbstbestimmung Platz finden. Wenn Betroffene diese Forderungen äußern, vor allem linke Israelis, sehe ich, wo ihre Position herkommt und fühle mit den unfassbaren emotionalen Rissen, den Widersprüchen, mit denen wir seit dem siebten Oktober 24/7 konfrontiert sind.
Das Statement auf Ruth Patirs Website legt nahe, dass sie sich mit ihrer Solidaritätsbekundung an die israelische Gesellschaft adressiert, die wieder auf der Straße gegen die Regierung und für die Freilassung der Geiseln aus der Gewalt der Hamas protestiert. Gleichzeitig müssen wir uns im Fall von Ruth Patir die Frage stellen, was hinter ihrem Ruf nach einem ceasefire steht. Was bedeutet es, wenn sie über ihren eigenen Akt sagt: “I hate it, but I think it’s important.”?
Eindeutig ist: ihre künstlerische Arbeit durch diese Stellungnahme auf einer der größten und renommiertesten Kunstveranstaltungen der Welt zu repräsentieren, entspricht nicht ihrer ursprünglichen Intention. Doppeldeutig in dieser Aussage bleibt: ob es wichtig ist, diese Forderung zu stellen oder sie auf der Biennale zu stellen.
Mir geht es nicht darum, die Authentizität ihres Wunsches nach Frieden infrage zu stellen. Zumal die israelische Regierung die Hälfte der Kosten für den Pavillon trägt und offenbar vorab nicht über den Eingriff informiert wurde – was zu rechtlichen Problemen für Patir führen kann. Sondern auch auf die Möglichkeit einer differenzierten Interpretation des Aushangs hinzudeuten.
Die Entscheidung, einen Zettel an die Tür zu kleben, hinter der Patir mit ihrer künstlerischen Praxis einen Meilenstein für den next level ihrer Karriere hätte legen können, entstand nicht ~im luftleeren Raum~. Kurz nach dem Überfall der Hamas auf Israel veröffentlichten das kuratorische Team und die Künstlerin des Pavillons eine Stellungnahme, in der sie (allen eigenen Zweifeln zutrotz) entschieden, weiter an ihrer Teilnahme an der Biennale festzuhalten. Dann forderten “Pro-Palästina-Aktivisten*innen” die Absage des Israel Pavillons von den Organisatoren*innen der Biennale – weil jede Repräsentation Israels der Unterstützung eines Genozids gleichkäme. Die Biennale weigerte sich, trotz enormen öffentlichen Drucks, die Petition zur Schließung anzunehmen.
Ruth Patir wählte nicht den Weg eines Rücktritts von ihrer Teilnahme. In dem Moment, in dem die Kunstmesse für Pressevertreter*innen eröffnet wurde, ließ sie alle Scheinwerfer angehen und die Strahlen fielen auf einen Zettel an der Eingangstür zum israelischen Pavillon. Er ist ohne große Ankündigung, erst im institutionellen Kontext sichtbar geworden und als Artefakt nicht von ihm zu trennen.
Es fällt im ersten Moment schwer, die Entscheidung von Ruth Patir einzuordnen. Genau das macht sie so spannend. Wir wissen es und Ruth Patir weiß es – dass es keinen ceasefire innerhalb der Laufzeit der Biennale geben wird. Und auch diejenigen, die am festesten an die transformative Macht der Kunst glauben, wissen es – dass der Zettel Patirs keinen ceasefire erzwingen wird. Geht also dieser Akt unweigerlich als Ruth Patirs künstlerischer Beitrag in die Geschichte der Biennale ein?
Auf der einen Seite fühlt es sich wie eine Verletzung an, ein Nachgeben in Anbetracht der undifferenzierten Forderung, Ruth Patir aus der Berlinale auszuschließen – einfach nur, weil sie als Israeli mit dem Krieg und mit der rechten Regierung des Landes gleichgesetzt wurde.
Auf der anderen Seite wäre das Bedürfnis nachvollziehbar, aufgrund von äußeren Faktoren oder aus der eigenen Position heraus nicht zum Status Quo ihrer Arbeit zurückkehren zu können.
Und vor Allem – wie kann man sich unter den gegebenen Umständen eine Präsentation dieses Status Quo vorstellen? Eine Ausstellung israelischer Kunst, die nicht explizit politisch ist? Eine israelische Künstlerin, die einfach für die eigene Praxis steht, provoziert das Publikum automatisch durch eine pro-Israel Haltung. Die einzige israelische Position auf der Biennale, die für die öffentliche Meinung eine Daseinsberechtigung hätte, wäre eine, die sich selbst negiert. Alles andere wäre einem Bildersturm zu Opfer gefallen, was bereits die Proteste gegen die Ausstellung des israelischen Zettels, inklusive „Intifada“ Aufrufen beweisen. Von persönlichen Sicherheitsbedenken gegenüber der Künstlerin ganz zu schweigen.
Mich erinnert Patirs Akt an Aushänge wie “The exhibition is closed due to construction work”. Oder eben den turn der Berlinischen Galerie, deren Schilder mit sarkastischen Aufdrucken wie “The Museum is closed due to the Artist’s Ausländerbehörde Termin”, im Mai 2023 selbstreferentiell kulturpolitische und institutionelle Probleme von künstlerischen Produktionen offenlegten. Es ist zu bezweifeln, dass Patir mit dieser Serie in Kontakt kommen konnte, doch die Sehgewohnheit spricht für sich.
Insgesamt komme ich nicht umher, mich zu fragen, ob die Weigerung der Eröffnung des Israel Pavillon nicht auch ein bisschen positive Publicity für uns birgt und gleichzeitig Mechanismen des silencing offenlegt: wenn wir unsere eigenen Türen so öffentlichkeitswirksam vor der Welt „due to calls for ceasefire“ verschließen.
Das wäre auf jeden Fall ein sehr jüdischer Move.