„Man kann Israels Regierung kritisieren ohne antisemitisch zu sein“

 – Es ist die Zeit gekommen, zu kritisieren.

Der Diskurs über Israel konzentriert sich auf den Gaza-Krieg und ist stark von Antisemitismus geprägt, doch am auffälligsten: er wird über unsere Köpfe hinweg geführt, denn wir scheinen uns vor ihm zu scheuen. Viele Entwicklungen, die sich innerhalb der politischen und gesellschaftlichen Landschaft abspielen, werden außerhalb Israels kaum thematisiert.
Dabei wird israelisches Leben, die liberale Demokratie durch die Justizreform, aber auch die Sicherheit der Diaspora, von der in Teilen rechtsextremen Regierung gefährdet.

Spätestens seit Januar 2023 ist es ein zentrales Ziel Netanjahus, eine Justizreform einzuführen, die sein politisches Überleben sichert. Diesem Ziel nähert er sich schleichend – sogar während des Krieges. 
Doch das hat einen Preis. Für die Stimmen der Rechtsextremen werden die Augen vor der Siedler-Gewalt verschlossen und erfolgreiche Geisel-Deals platzen gelassen. So verkündete Ben-Gvir (Minister für Öffentliche Sicherheit) stolz, dass er die Weiterführung des „Januar 2025“-Deals verhindert habe – und die Regierung somit die verbleibenden Geiseln leiden lässt, das Ende des Krieges herauszögert und die Besatzung des gesamten Streifens voran bringt. Auch den Forderungen orthodoxer Parteien wird nachgegangen: Trotz riesigen Bedarfs an Soldat*innen scheitert jeder Versuch ein Gesetz zu erlassen, welches orthodoxe Juden zum (sozialen) Dienst verpflichtet. So müssen Miluimnikim und Soldat*innen noch mehr Tage im Einsatz ihr Leben riskieren, statt in den Alltag zurückkehren zu können. Sie leiden an PTBS und erhalten daraufhin kaum finanzielle oder psychologische Unterstützung, denn Gelder gehen z.B. an die Yeshivot. Alleine im Juli dieses Jahres wurden sieben Fälle von Suiziden als direkte Konsequenz bekannt.

Dies ist nur ein Bruchteil von dem, was von Israelis kritisiert wird. Es ist verständlich, dass die in der Diaspora lebenden Personen nicht alles oder kaum von den Skandalen, Protesten, Entscheidungen und Stimmungen der Bevölkerung mitbekommen. Doch wir dürfen diese Entwicklungen nicht ignorieren. Demokratie muss hochgehalten und beschützt, Frieden muss angestrebt werden. Wir sollten Diskussionen führen, Räume für solche schaffen und öffentlich Forderungen sowie Solidaritätsbekundungen aussprechen können.
En li eretz acheret gam im admati boeret.
Ich habe kein anderes Land, auch wenn mein Boden brennt. Der Boden brennt – Ich will kein Öl hineingießen, aber ich will es auch nicht verbrennen sehen.