Ist es bloß Einbildung?

Heute trage ich weiß. Es ist Jom Kippur. Ein hoher Feiertag.
Gerade räume ich die Küche auf. Dabei höre ich Radio.
Anschlag in Manchester auf eine Synagoge: Tote, Verletzte.

Nach Halle habe ich beschlossen, nie wieder an Jom Kippur in die Synagoge zu gehen und meine Kinder gebeten, es auch sein zu lassen.

Ich rufe sie an: „Wo bist du? Was machst du? Was hast du heute noch vor?“
Meine Tochter erzählt mir, dass sie heute Abend in Berlin mit ihrem Freund in ein israelisches Restaurant gehen wird.
Nein, schreit mein Mutterinstinkt. Zu gefährlich heute. Erst gestern wurden 3 Terroristen in Berlin festgenommen. Sie planten Anschläge auf was auch immer Jüdisches und Israelisches in DEUTSCHLAND:
Schnell buche ich ihnen einen Tisch in einem japanischen Restaurant. Safety first.
Sie lacht, gibt mir aber recht und akzeptiert die Einladung glücklich.

Angst überkommt mich.
Ich fahre zum Baumarkt. Hole mir Sicherheitsfolie. Mein Nachbar ist bei der AFD. Niemand soll mehr vom Hof in mein Zuhause reinsehen können. 
Mein Mann ruft an: „Was machst Du gerade.“ Ich sage ihm, dass ich aufrüste. Seine Antwort: „Aber…“ Ich unterbreche ihn. Nach Halle und dem 7. Oktober gibt es kein ABER mehr. Dieses ABER gab es für mich als Jüdin NIE. “Du verstehst das als Christ einfach nicht. Du wirst es nie verstehen können. Nie würdest und musst Du Dir über Deine Sicherheit Gedanken machen, wenn Du Weihnachten in die Kirche gehst“.
Er spricht es nicht aus, aber Ich weiß, was er denkt. Mal wieder am Übertreiben.
Selbst der Sicherheitsmann einer Synagoge hat mich schon schräg angesehen, als ich bei einem Vortrag an einer Schule verlangt habe, dass er prüft, was hinter einer Tür war.

Der neue Antisemitismus-Bericht ist erst 3 Tage alt. Alarmierender Anstieg?
NEIN. Für mich seit immer schon.
Meine Freundin nennt es: DEINE Realität.
Sie sagen: Survival Mode oder 7. Sinn.
Für mich aber Familientradition.

Heute ist Shabbat.
Ich werde heute sehr bewusst meine Challot formen.
Möge die Königin Shabbat uns ALLEN endlich Frieden bringen.
Shabbat shalom.

Lea Helene Lichtenberger
11.Tishri 5786