Die erste Phase des Deals zwischen Israel und Hamas ist mittlerweile unterschrieben, womit ein Ende des Krieges eingeleitet werden soll.
Die Push-Benachrichtigung war das Erste, was ich am Donnerstagmorgen sah. Das letzte Mal, als ein Deal angekündigt wurde, war ich deutlich skeptischer. Dieses Mal fühlt es sich anders an. Natürlich bin ich immer noch skeptisch – es ist schließlich nicht der erste Versuch. Doch nun beschäftigt mich plötzlich ein Gedanke, den ich vorher nicht hatte: Der Krieg wäre endlich vorbei, die Geiseln würden nach Hause kommen, das Leid der Palästinenser*innen in Gaza würde ein Ende finden, der kleine Streifen am Mittelmeer würde wieder aufgebaut werden und sowohl die israelische als auch die palästinensische Bevölkerung könnte den Prozess des Heilens beginnen.
Und dann?
Diese beiden Wörter meines Gedankens hätte ich mir in den letzten zwei Jahren täglich stellen können, doch habe ich es nicht, und hätte mir jemand vor diesem Morgen die Frage gestellt, hätte ich so schnell keine Antwort gehabt.
Natürlich ging der Gedanke daraufhin weiter: Wie sieht eigentlich mein Heilungsprozess als Diasporajude in Deutschland aus? Wie kann ich wieder einer Welt vertrauen, die mir in den letzten zwei Jahren keinen Grund dafür gegeben hat? Werde ich mich je wieder so fühlen können wie vor dem 7. Oktober 2023 oder ist das jetzt irgendwie gelaufen? Wie geht es wohl Palästinenser*innen damit?
Mich überkam das Bedürfnis in Erfahrung zu bringen, wie die palästinensische Perspektive in der Diaspora aussieht. Also tat ich genau das: Ich schrieb einer palästinensischen Freundin und fragte sie, wie es ihr mit dem Begriff „Heilungsprozess“ geht.
Wir haben nicht besonders viel Kontakt, aber wenn wir mal miteinander reden oder schreiben, sind es unheimlich wertvolle Gespräche. Ich war wohl nicht allein. Auch sie hatte sich noch keine Gedanken über ihr Und dann? gemacht.
Wie auch? Der Krieg und seine Konsequenzen beschäftigen einen täglich. Wie soll man bei all den negativen Aspekten darüber nachdenken, wie es wieder besser wird? Diese Frage wirkte bisher so bedeutungslos . Seit der Push-Benachrichtigung fühlt es sich jedoch anders an.
Wenn ich von einem Heilungsprozess spreche, meine ich damit vor allem das Zurückgewinnen von Vertrauen. Vertrauen in politische Gruppen, die vermeintlich gegen jegliche Form von Diskriminierung kämpfen, Vertrauen in Freund*innen- und Bekannt*innenschaften, Vertrauen darauf, dass die Gesellschaft, in der ich lebe, an meiner Sicherheit interessiert ist und Vertrauen in romantischen Beziehungen.
Wie viel davon ist eigentlich meine Aufgabe und wie viel darf ich von den Menschen um mich herum einfordern? Bestimmte linke Kreise müssen mir auf jeden Fall erstmal beweisen, dass sie solidarisch mit jüdischen Menschen sind. Kein Zweifel!
Aber müssen meine Freund*innen mir beweisen, dass sie es ernst meinen, wenn sie mir ihr Mitgefühl aussprechen und zustimmen, dass Antisemitismus ein Problem ist, oder muss ich sie einfach beim Wort nehmen? Würden meine Freund*innen in meinem Namen demonstrieren gehen, wenn sich die Situation für jüdische Menschen in Deutschland weiterhin verschlechtert? Werden sie gegenhalten, wenn sich Personen aus anderen Freund*innenkreis antisemitisch äußern? Müssen sie mir meine Zweifel nehmen oder muss ich lernen, wieder so zu vertrauen, wie vor dem 7. Oktober?
Ich will den Kampf, den ich als jüdischer Mensch sowieso schon täglich führen muss, nicht mehr in meinen engen zwischenmenschlichen Beziehungen austragen müssen und gleichzeitig will ich mich in ihnen sicher fühlen.
All diese Gedanken sind Teil des Und dann?
Aktuell fällt mir die Beantwortung und Einordnung dieser Gedanken noch schwer. Ich freue mich allerdings bereits auf meine Erkenntnisse, denn dies würde ein Ende des Krieges bedeuten – eine hierfür notwendige Bedingung – und den Beginn des Heilungsprozesses markieren.