„Man muss verstehen, wie die Welt ist, um sie beschreiben zu können.“ – Interview mit Mirna Funk

Von all den Büchern, die Du geschrieben hast, welches bedeutet Dir am meisten?

Ich würde sagen, dass mir „Winternähe“ am meisten bedeutet, weil es mein erster Roman war. Diese ganze Publikation hat mein Leben grundlegend verändert und gleichzeitig bedeutet er mir viel, weil ich für diese Geschichte einem bestimmten Gefühl nachgegangen bin. Ich blicke nun darauf, zehn Jahre später, und bin froh, dass ich genau das getan habe. Was ich damals in der Gesellschaft beobachtet habe, die sich verändernde Position zu Juden, der Antisemitismus, all das hat sich bestätigt. Vielleicht kann man „Winternähe“ deshalb schon fast als Klassiker beschreiben. Who knows, irgendwann wird man es als Zeitdokument werten.

Du bist letztes Jahr nach Tel Aviv gezogen. Wie schaust Du mit dieser räumlichen Distanz zurzeit auf Deutschland, auf die Entwicklung insb. auf den grassierenden Antisemitismus?

Ich bin noch viel in Berlin. Ich habe meine Wohnung in Berlin, bin beruflich viel dort und werde vermutlich auch ab nächstem Jahr beruflich wieder ganz viel in Berlin sein, weil dann mein neuer Roman erscheinen wird. Trotzdem ist es so, dass diese Distanz dabei hilft, Dinge in Relation zu sehen und die Behauptungen, die aufgestellt werden, besser aushalten zu können.  Man muss sie weniger ernst nehmen, weil man sich am realen Ort des Geschehens befindet. Das tut mir gut, weil ich mir dann vor Augen führen kann, dass viele Menschen die komplexen Zusammenhänge gar nicht kennen. Gleichzeitig ist es aber so, dass ich natürlich merke, wie gefährlich die Situation im Kulturbetrieb und an den Universitäten ist. Aber darüber bin ich nicht geschockt, schließlich habe ich über all das schon 2014 in „Winternähe“ geschrieben. Dennoch beunruhigt mich die Situation. Wie soll die Zukunft der Jüdischen Community aussehen? Ich glaube nämlich nicht, dass nur weil der Krieg ein Ende findet, sich die Situation beruhigen wird. Diese Veränderung in der Sprache, die ganze Verschiebung der Begrifflichkeiten, also aus Juden Zionisten zu machen, den Krieg in Gaza Genozid zu nennen – all das wird sich nicht mehr einfach auflösen lassen. Das hat sich innerhalb einer ganzen Generation verfestigt. Guckt man sich die Statistiken aus den USA an, erkennt man, wie negativ die Perspektive der Generation Z auf Israel ist. Auf Social Media wurde mit so einer Penetranz und gleichzeitig enormen Reichweite kommuniziert, dass das gar nicht mehr wettzumachen ist. 

Im Januar erscheint dein dritter Roman. In den letzten Jahren sagtest Du immer wieder, dass Du danach keine weiteren Romane mehr verfassen möchtest. Warum? 

Ja, das habe ich gesagt und gedacht und auch gefühlt. Aber, ob das jetzt noch so stimmt. Ich weiß es nicht. Das Problem ist, dass mir Roman schreiben nicht besonders Spaß viel macht. Ich hasse es. Es kostet wahnsinnig viel Zeit und Energie. Dennoch trage ich gleichzeitig all diese Geschichten in mir, die unbedingt erzählt werden wollen. Schreiben ist ein wahnsinnig isolierender Prozess. Trotzdem kann ich aber auch nicht nicht schreiben. Ein irres Dilemma. 

So geht es wahrscheinlich vielen Schriftstellern? 

Ja, vermutlich. Viele Schriftsteller hassen Schreiben. Es gibt glaube ich kaum jemanden, der das wirklich genießt. Es ist auch eigentlich nicht zu genießen.

Was würdest Du jungen Schriftstellern, Journalisten, Menschen, die schreiben wollen, raten oder ans Herz legen?

Man kann ohne Erfahrung nicht schreiben! Man muss raus in die Welt, man muss über seine eigenen Grenzen gehen und Mut beweisen. Man muss verstehen, wie die Welt ist, um sie beschreiben zu können. Um interessante Charaktere zu entwickeln, muss man sich außerdem für Menschen interessieren. Man muss unterschiedlichen Menschen wertfrei begegnen können. Nur wenn wir anderen Menschen gegenüber neugierig sind, können wir überhaupt verstehen, was sie ausmacht. Ohne dieses Verständnis kann man nicht schreiben. Mein dritter Tipp wäre mein Schreibseminar “Writing a Book” zu buchen. 

Du bist jemand der polarisiert, und wurdest schon immer sehr harsch für Deine Meinungsäußerungen angegriffen. Wie gehst Du mit Hasskommentaren, Drohungen etc. um?

Menschen reagieren schon seit meiner Kindheit sehr polarisiert auf mich. Ich kenne es gar nicht anders, als dass man mich voll ablehnt oder mich sofort mag. Dieser Gegensatz begleitet mich schon mein ganzes Leben, aber ich mache mir darüber kaum Gedanken. Durch diese Erfahrung der Anziehung und Abstoßung habe ich eine Resilienz und auch eine Art Ignoranz entwickelt. Ich bekomme ja nicht nur viel Hass, sondern auch Anerkennung und Liebe. Wenn ich den Hass ernst nehme, dann kann ich die Liebe nicht ernst nehmen und wenn ich die Liebe ernst nehme, dann kann ich den Hass nicht ernst nehmen. Ich habe also irgendwann angefangen mich weder für das eine noch für das andere zu interessieren. Das hat Vor- und Nachteile. Der Vorteil ist, dass mir der Sturm der Hasskommentare egal ist und ich weiter ich selbst bin. Gleichzeitig ist es so, dass ich für meine Arbeit keine Bestätigung bekomme, weil ich verweigere sie anzunehmen. In meinen Augen wäre es unlogisch nur das Lob und positive Feedback anzunehmen, denn dies ist auch keine wahrhaftige Abbildung der Realität. 

Wenn Du zehn Jahre in die Zukunft reisen würdest, an welchem Ort würdest Du Dich befinden und wie würdest Du Dir wünschen, sähe Dein Leben aus? 

Ich bin dann schon 54 und habe so gar keinen Bock älter zu werden. Es gibt einen Punkt, an dem Älterwerden cool ist, weil man mehr Erfahrungen macht und man weiser und entspannter wird, aber dieser Prozess ist irgendwann abgeschlossen. Grundsätzlich würde ich gerne in finanzieller Sicherheit leben, was für mich bedeutet Eigentümerin einer Wohnung in Berlin, in Tel Aviv und am liebsten eines Hauses in Thailand oder in Italien zu sein. Meine Tochter ist dann 19 und ich hoffe, dass sie gesund, glücklich und freudestrahlend durch die Welt geht und wir ein gutes Verhältnis zueinander haben. Ich wünsche mir außerdem liebevolle und loyale Freunde, die mich umgeben. Beruflich ist es so eine Sache. Ich habe mit meinen 44 Jahren schon viel erreicht und ich hasse es, wenn Figuren in der Öffentlichkeit den Platz nicht frei machen für junge Leute. Ich möchte mir in den nächsten 10 Jahren also überlegen, wie meine Rolle zu einer werden kann, in der ich meine selbst erarbeitete Macht, dazu nutzen kann, jüngeren Generationen die Chance zu geben, erfolgreich zu werden. Zudem würde ich richtig gerne ein Drehbuch für eine Serie oder einen Film schreiben, um mein Portfolio zu komplettieren. Gleichzeitig arbeite ich da seit fünf Jahren dran und weiß, dass das in Deutschland einfach sehr schwierig ist. Wenn es jetzt nur um mich persönlich geht, wäre ich gerne gesund, körperlich fit und „as hot as possible“ um noch alles mitzunehmen, was ich mitnehmen möchte.