Jüdischsein und Liebe seit dem 7. Oktober

Seit dem 07.10.2023 spielt meine jüdische Identität auch in meinem Liebesleben schlagartig eine bedeutsame Rolle. Jedoch nicht in Form von Zuspruch und Solidarität, sondern vielmehr in einem Kampf geprägt von Enttäuschung und Entfremdung.

Es muss ca. zwei Wochen nach dem Terrorangriff des 7. Oktobers gewesen sein, als ich L. kennenlernte. Sie hat sich für das Ganze nicht interessiert und das war für mich in Ordnung. Ich bin bis heute der festen Überzeugung, dass sich niemand mit diesem Konflikt beschäftigen muss. Nach vier Wochen kam in unserer Situationship zum erste Mal das Thema Antisemitismus auf. Der Partner ihrer besten Freundin postete Bilder auf Instagram, die das Geschehen in Gaza mit dem Holocaust verglichen. Meine sofortige Reaktion war ihr zu sagen, dass es nicht in Ordnung ist und sie dazu hoffentlich nicht schweigt. Ich sagte ihr, dass er gerne das Vorgehen Israels kritisieren kann, aber dafür nicht den Holocaust relativieren muss. Sie weigerte sich, Stellung zu beziehen. Ihre Begründung: Sie wüsste nicht genug über den Konflikt.

Allerdings hat Holocaustrelativierung nichts mit dem Nahostkonflikt zu tun. Und hat meine Generation nicht – vielleicht sogar als erste überhaupt – gelernt, Betroffenen erstmal zuzuhören und sich nicht direkt der Verantwortung zu entziehen? 

Im Januar 2024 erhielt ich eine überraschende Nachricht von ihr. Sie hätte gerade eine Arte-Doku über Antisemitismus seit dem 7. Oktober gesehen und es würde ihr schrecklich leidtun, dass sie nicht mehr für mich dagewesen sei. Ehrlicherweise war ich einfach nur frustriert. Meine Existenz hatte nicht ausgereicht. Es benötigte eine gute Kameraführung, Interviews, ein Voice-Over und dramatische Musik, um meine Betroffenheit zu erkennen. 

Angesprochen hat sie das Thema dennoch nicht und ich blieb damit – mal wieder – allein.

Nach vier Monaten beendeten wir die Situationship. Wir hatten beide unsere Gründe, für mich war es fehlendes Vertrauen in ihre Unterstützung.

Im April versuchte ich erneut mein Glück auf einer Dating-App. Ich stellte relativ schnell einen neuen Trend fest. Während 2021 jedes zweite Profil den Begriff „Intersectional Feminist“ enthielt, waren es nun Wassermelonen, die Solidarität mit Palästinenser*innen symbolisieren sollen. Um unangenehme Dates zu vermeiden, gab ich an, dass ich Hebräisch spreche. Der Filter funktionierte nur begrenzt.

Eine Frau fand es im Laufe unseres Chats heraus und machte mir deutlich, dass sie mich nicht treffen kann, weil: „Free Palestine“. Sie stammte aus Albanien. 

Ich glaube, der Begriff Rassismus trifft es ganz gut, wenn man jemanden aufgrund seiner Herkunft eine politische Haltung und Denke zuschreibt und deshalb nicht daten will. 

Im Monat darauf traf ich mich mit J. Der Nahostkonflikt kam erst beim zweiten Date auf. Sie sagte mir, sie wolle mir nicht verraten, was ihre Einstellung zum Konflikt sei, aber ich könne es mir ja denken. Einerseits wirkte die Aussage vorsichtig, andererseits, als würde mir erneut eine politische Haltung unterstellt werden. Ihre vage Aussage löste ein Gefühl von Misstrauen aus in mir aus. Ich fing an, mich zu fragen, ob ich ihr vertrauen kann oder, wie im Fall von L., nicht gesehen werde. Jedoch fand ich J. toll und so traf ich sie, trotz ihrer Aussage, wieder. 

Im Juli lernte ich meine Ex-Freundin A. kennen. Es dauerte nicht lange, bis ich ihr meinen Frust darüber anvertraute, dass mich der Konflikt überallhin verfolgt. In der Uni, bei der Arbeit und in der Boulderhalle. Egal, wo ich bin, ich kann dem Konflikt nicht entfliehen. In der Bibliothek beispielsweise – ich war gerade dabei, meine Bachelorarbeit zu schreiben – setzte sich eine weißgelesene Frau neben mich. Sie trug eine Keffiyeh und Wassermelonenohrringe. Ich nahm sie als Bedrohung wahr und konnte mich aufgrund dieser Mikroaggression nicht mehr konzentrieren. Erneut wurde mir das Thema aufgezwungen.

Als ich A. von dem Vorfall erzählte, hoffte ich auf Verständnis oder zumindest Gehör, doch ich wurde schnell enttäuscht. Statt meinen Gefühlen Raum zu geben, relativierte A. sie und rationalisierte das Verhalten der Frau. Ich fühlte mich erneut unverstanden und wurde mit meinen Erfahrungen allein gelassen.

Erst als ich irgendwann den Mut hatte mitzuteilen, dass ich mich einfach nur aufregen möchte, bot sie mir den Raum und hörte mir einfach zu. Trotzdem war ich frustriert. Wieso musste ich mir als betroffene Person den Raum erst erkämpfen und das über Wochen? 

Auch unsensibler Umgang mit Antisemitismus und dem Nahostkonflikt wurde immer wieder abgeblockt und meine Reaktion mit meiner bisherigen Erfahrung erklärt. Wie so oft musste ich mir die Frage stellen, ob ich überreagiere. Erinnerungen aus der Schulzeit kamen hoch. Dort wurde mir immer wieder gesagt, dass meine Sorgen und Ängste vor Antisemitismus übertrieben seien. 

Der Maßstab dafür, ob As. eigenes Verhalten in Ordnung war: ihre nicht-jüdischen Freund*innen ohne Bezug zu dem Thema. Lassen wir nun, als progressive Menschen, Männer entscheiden, ob die Wahrnehmung einer Frau gerechtfertigt ist, wenn sie Sexismus erfährt? Halten wir es für richtig, wenn weiße Menschen entscheiden, ob das Gefühl von People of Color angemessen ist, wenn sie Rassismus erfahren? Ich hoffe nicht!

Ein Freund hat mir vor nicht allzu langer Zeit gesagt, dass man die Kämpfe, die man ohnehin schon im Alltag bestreiten muss, nicht noch in der Beziehung austragen sollte. Während ich den Gedanken wertvoll finde, scheint es mir aktuell unmöglich.

Alle oben genannten Personen sehen sich selbst als progressiv und sind es in vielen Bereichen auch. Im Umgang mit Antisemitismus fand ihre politische Überzeugung allerdings schnell ihre Grenzen.

Der 7. Oktober hat mein Liebesleben stark verändert. Plötzlich war meine Identität ein Ausschlusskriterium, ein sensibler Umgang mit dem Thema nicht selbstverständlich und ich konnte mir nicht sicher sein, dass meine Partnerin im Fall von Antisemitismuserfahrungen für mich da ist. Vertrauen bekam plötzlich eine völlig neue Bedeutung. 

Ich weiß, dass L. und A. keinerlei böse Absichten hatten und dennoch empfand ich den Umgang, gerade in Anbetracht der Tatsache, wie nah wir uns standen, überraschend unsensibel.

Mein Wunsch ist nicht, dass alle sich plötzlich Literatur zu dem Thema beschaffen, auch wenn es keine schlechte Idee wäre. Vielmehr wünsche ich mir den gleichen Umgang wie mit anderen Diskriminierungsformen. Als progressiver Teil der Gesellschaft haben wir unglaublich viel über Rassismus, Sexismus, Homo- und Islamophobie gelernt und welche Auswirkungen sie für Betroffene im Alltag haben. Und das ist gut so!

Umso rätselhafter erscheint mir, wieso viele Menschen, und dazu gehört auch mein Freundeskreis, keine Vorstellung davon haben, wie Antisemitismus sich auf meinen Alltag auswirkt. Ich befürchte manchmal, dass Antisemitismus erst drastische Ausmaße annehmen muss, um von Nichtbetroffenen wahr- und ernstgenommen zu werden. Anders gesagt: Ein Produkt deutscher Erinnerungskultur scheint zu sein, dass für viele die NS-Zeit der Maßstab dafür ist, was als ernstzunehmender Antisemitismus gilt.

L. meinte sogar noch zu mir, sie kenne sich eben besser mit dem Thema Rassismus aus. Als könnte man die gleichen Werkzeuge im Umgang mit Rassismus nicht auch im Umgang mit Antisemitismus anwenden. 

Auch ich, als weißgelesener hetero-cis Mann, schaffe es nicht immer, im Moment Diskriminierung zu erkennen oder zu begreifen, jedoch habe ich immer die Möglichkeit, meiner Partnerin erst einmal zuzuhören, versuchen zu lernen und ihr einen Safespace zu bieten. Ein solcher Umgang sollte meiner Meinung nach in progressiven Kreisen selbstverständlich sein. Ich musste jedoch in den letzten eineinhalb Jahren enttäuscht feststellen, dass es bei Antisemitismus oft nicht der Fall ist.