Für das andere Andere

Von Yuliana Mosheeva

Dieser Text erschien zuerst in der EDA III (September 2025). 

Viele von uns wurden oft zum „Anderen im Raum gemacht: der Jude, „die Ausländerin“, „der*die Außenseiter*in. Othering ermöglicht es der dominanten Gruppe, eine fragile Gemeinschaft zu konstruieren, ein Wir, welches dadurch definiert wird, dass die Anderen keinen Platz darin finden. Vom Kindergarten bis ins Parlament und darüber hinaus wiederholt sich dieses Muster. Für die Anderen ist Othering eine schmerzhafte Erfahrung. Doch birgt sie auch ein Potenzial, das durch Resilienz seiner Aktualisierung nähergebracht werden kann. Othering kann eine*n dazu bringen, andere Räume zu schaffen. Dies können alternative Gemeinschaften sein, wie Zusammenschlüsse marginalisierter Personen. Auch können dies metaphysische Räume sein, wie eine Hinwendung zum anderen Anderen, dem Anderen als progressive Denkfigur.

Dazu inspiriert der Sozialphilosoph Max Horkheimer, der stets die Sehnsucht nach dem ganz Anderen behielt. Für ihn ist das Andere das Absolute, das Gute. Dabei schwächt dessen fehlende logische Verbindlichkeit die Sehnsucht danach nicht. Diese Ausrichtung ist in seiner jüdischen Prägung verwurzelt. Mit seiner Verweigerung, dem Unrecht dieser Welt das letzte Wort zu überlassen, hält Horkheimer am jüdisch-theologischen Kern seiner Überlegungen fest und aktualisiert diesen für die Kritische Theorie. Demnach versteht die Literaturwissenschaftlerin Yael Kupferberg sein Denken als Teil der jüdischen Religionsphilosophie. Zwar ist es möglich, das Andere zu denken, für einen Augenblick sogar zu erfahren, doch ist es nicht konkretisierbar. Wir können lediglich sagen, wie das Andere nicht ist, nämlich nicht so wie diese miserable Welt. Es kann weder dargestellt noch definiert werden. Obwohl dies erst einmal unbefriedigend klingen mag, behält das Andere gerade dadurch, dass es abstrakt ist, progressives Potenzial und bleibt unausschöpfbar.

Für Horkheimer ist die Sehnsucht nach dem Anderen auch ein verbindendes Element. Denn theoretisch teilen alle Menschen das Interesse daran, eine Welt zu schaffen, die für alle schöner ist. Somit begründet die Sehnsucht nach dem Anderen jede echte menschliche Beziehung. Für mich ist die Sehnsucht nach dem Anderen eine tief in meinem Inneren verankerte treibende Kraft, die mir dabei hilft, die begrenzte Realität zu bewältigen. Insbesondere jetzt, wenn die Welt wegen wirtschaftlicher Prekarisierung, zunehmender faschistoider Tendenzen und Kriege oft hoffnungslos erscheint, gilt es, sich daran zu erinnern, dass sie anders sein kann. Womöglich kann gerade die Erfahrung zum Anderen gemacht worden zu sein, dabei helfen das Andere zu denken und das, was ist, etwas zu ändern.