Auf meinen alltäglichen Reisen durch Social Media überkommt mich seit dem 7. Oktober 2023 nur noch Wut, gepaart mit Hoffnungslosigkeit. Es sind nicht die Ereignisse des Weltgeschehens, die mich so hoffnungslos auf die Zukunft blicken lassen. Es ist die Reaktion meiner Mitmenschen, von denen zu viele jeglichen Anstand verloren haben.
Meinungen werden zu Fakten und Fakten zu Meinungen. Sich mit all den Ambiguitäten des Lebens auseinanderzusetzen, ist zu viel verlangt. Es wird entmenschlicht. Und kaum einer merkt, dass aus einer Gesellschaft, in der die Entmenschlichung des Gegenübers zur Norm wird, nichts Positives erwachsen kann. Sie kann nur korrodieren. Wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen.
Statt sich dieses Problems bewusst zu werden, wird die Schuld beim eigenen Feindbild gesucht. Als fühlten sich alle angegriffen von der Tatsache, dass ein anderer Mensch es wagt, eine Situation anders zu beurteilen und wahrzunehmen.
Vielleicht ist es auch die Selbstgerechtigkeit vieler, die mich so mitnimmt. Gerade in Bezug auf die Ereignisse seit dem 7. Oktober lässt sich dies sehr gut skizzieren. Die Anzahl derjenigen ist gering, die den 7. Oktober als den grausamen Genozid bezeichnen, der er war, die die Freilassung aller Geiseln fordern, die die Regierung von Benjamin Netanjahu lautstark kritisieren, die aber auch anerkennen, dass der Krieg in Gaza unschuldige Opfer nach sich gezogen hat, und die sich eingestehen, dass die IDF höchstwahrscheinlich Kriegsverbrechen in Gaza begangen hat.
Statt der Erkenntnis, dass dieser Konflikt auf allen Seiten Leid und Verlust auslöst, haben es sich zu viele in ihrer Wagenburgmentalität gemütlich gemacht. Die einen fordern den „Untergang des zionistischen Übels“ und realisieren gar nicht, dass ihre lauten Rufe nach der Einhaltung von Menschenrechten auch für diejenigen gelten, denen sie seit fast zwei Jahren jegliche menschliche Würde absprechen. Die anderen zergehen sich so sehr in ihrer Verteidigung des Staates Israel, dass sie sich nicht dazu durchringen können, zu realisieren, dass die Aussage, es „gebe keine Unschuldigen in Gaza“, eine Reaktion ist, die einem moralischen Bankrott gleicht. Es wird weiter entmenschlicht, weil jeder Ausbruch von Hass nicht mit Ächtung bestraft, sondern mit lautem Applaus begrüßt wird.
Es liegt an jedem Einzelnen von uns, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Mit jemandem zu diskutieren und ihn dabei weiterhin als das zu sehen, was er ist. Ein Mensch wie jeder von uns.

