Erinnerung unter Verdacht

Zur sprachlichen Gewalt gegen digitale Zeugenschaft im Projekt Eva Stories 

Seit 2019 erzählt das Instagram-Projekt Eva Stories, entwickelt von Mati und Maya Kochavi, vom Leben der dreizehnjährigen ungarischen Jüdin Eva Heyman, deren Tagebuch nach ihrer Deportation und Ermordung in Auschwitz 1944 erhalten geblieben ist. Die audiovisuelle Umsetzung überträgt dieses historische Zeugnis in die Ästhetik sozialer Medien. 

Erzählt in kurzen Sequenzen, inszeniert im Format alltäglicher Selbstdarstellung, entsteht eine Erzählhaltung, die zwischen dokumentarischer Spur und performativer Gegenwart oszilliert. Was als Versuch begann, den Holocaust aus dem Archiv in die Erfahrungswelt einer jungen digitalen Öffentlichkeit zu überführen, wurde ab 2023 verstärkt zum Ziel strategischer Delegitimierung. 

In den Kommentarbereichen der Plattform formiert sich eine sprachlich codierte Gegenwirklichkeit. Eva wird zur Schauspielerin erklärt, das Projekt zur Täuschung, der Holocaust zur politischen Erfindung. Obwohl Eva Stories ein Projekt über ein jüdisches Leben vor der Gründung Israels ist, werden die Beiträge heute mit Angriffen auf Israel und seine Politik verknüpft. Viele Kommentare beziehen sich auf den 7. Oktober 2023, obwohl kein inhaltlicher Zusammenhang besteht. Die Angriffe erfolgen nicht nur durch direkte Leugnung, sondern auch durch Verschiebung sprachlicher Ordnungen, durch Ironie, durch den rhetorischen Zweifel als Mittel der Destabilisierung. 

Ein Projekt wie Eva Stories, das sich autofiktionaler Mittel bedient, ist für solche Dynamiken strukturell anfällig. Die Offenheit zwischen Faktischem und Narrativem sowie die Nähe zur filmischen Darstellung machen es zugleich zugänglich und angreifbar. Die Kommentator:innen lösen die Figur Eva von ihrer historischen Existenz, um die gesamte Erinnerungskultur in Frage zu stellen. 

Je sichtbarer kollektives Erinnern heute gestaltet wird, desto fragiler wird es.Wenn jedes Subjekt zum Medium wird, verschwimmt die Grenze zwischen Zeugnis und Kommentar. Die Literaturwissenschaft muss neu verhandeln, was Wissen bedeutet in einer Welt, in der historische Wahrheit nicht mehr verwahrt, sondern öffentlich ausgehandelt wird.

@eva.stories