Ein Appell: Wer ist wirklich Ally? 

von Evelyn Deller

Dieser Text erschien zuerst in der EDA III (September 2025).

Ich denke an Männer, die unter dem Label „Feminist“ in Podcasts sitzen, wo sie erklären, wie sie mit Nagellack Solidarität zeigen – und sie diesen für Businessmeetings abmachen. Frauen können ihre Identität nicht einfach mit Aceton von den Fingernägeln reiben. Und genau das ist es, was Allys von Betroffenen unterscheidet. Beim Thema ME/CFS sind Betroffene bspw. darauf angewiesen, dass Allys für sie kämpfen. Erkrankte sind oftmals nicht in der Lage dazu, selbst auf die Straße zu gehen, deshalb brauchen sie dafür Verbündete. Man geht für die Erkrankten auf die Straße, legt sich für sie auf den Boden, repräsentiert. Und unsere Allys? Eine kritische Bestandsaufnahme: Nicht nur nehmen unsere Verbündete teils die Bühne selbst ein, sie verlassen ihre selbstgewählte Rolle. Ab einem Punkt sind sie keine Allys mehr, sondern selbst Betroffene, und das, obwohl sie eigentlich keine Betroffenen sind. Eine Spielart von Antisemitismus richtet sich nicht nur gegen Juden und Jüdinnen, sondern auch gegen als jüdisch gelesene Menschen. Nazis haben nicht nur explizit Juden verfolgt, sondern auch die, die abwertend als Judenfreunde oder –retter kategorisiert wurden. Wer Juden versteckte, riskierte auch sein eigenes Leben, agierte also im Geheimen. Heutzutage sieht Aktivismus anders aus: Er ist sichtbar. Doch wo das Ally-Sein die eigene Identität und daraus hervorgehend eine Betroffenheit bestimmt, läuft etwas falsch: Verbündete interessiert das Wohl der Betroffenen in einer sie diskriminierenden Gesellschaft. Wer jedoch nicht für jüdisches Leben einstehen kann, ohne sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, erlaubt die Frage: Um wen geht es dann? – Nicht abwertend gemeint – nur selbsterkenntnis-verhelfend. Es gibt viele Menschen, unter anderem mich selbst, die schon von „verbündeten“ Gojim angefeindet wurden. Sie meinen, besser zu wissen, und unterscheiden zu können, wer „selbsthassender Jude“ sei, wer nicht. Wenn ein Goj einer Jüdin ihre Identität und ihre Vernunft abspricht, wird er Teil des Problems. Es verletzt, wenn Solidarität entzogen wird, sobald man als Betroffene eine abweichende Meinung hat. Danke, dass ihr helfen wollt, im Ernst, aber fallt nicht auf das rein, was Antisemiten selbst machen: Auf die Entmenschlichung. Wenn ihr uns Juden vertraut, und wisst, dass wir für uns kämpfen können, weil wir das seit über 2000 Jahren eh tun, dann gebt uns das Mikrofon, wenn ihr uns einladet. Dann zitiert nicht die Toten, sondern lasst uns Lebenden reden.