! Content-Warnung: Dieser Text behandelt patriarchale Gewalt !
Im Gegensatz zu Ihnen, “Lieber” Herr Söder, sage ich nicht, dass Frauen ohne Unterleib unbrauchbar sind. Nein. Ich plädiere dafür, dass Männer erst ohne Unterleib beginnen, brauchbar zu werden!
Wenn Blicke töten könnten…
Wer spricht denn noch von „könnten“? Sie könnten nicht nur töten. Sie tun es auch!
Ein falscher Blick und das war’s.
Aber der Blick kommt nicht von mir. Den Blick kann ich nicht kontrollieren. Beim Blick fängt es an. Beim Tod hört es auf.
Im Jahr 2025 wurden in Deutschland bis September bereits 98 Femizide gemeldet 1 (Stand: 21.09.2025; ACHTUNG Dunkelziffer).
Eine Gewaltpyramide, die ihren ersten Stein beim etwas zu lange Schauen legt. Den nächsten, hinter einem Umdrehen, dann folgt das Starren, dann ein Pfiff, dann ein verheißungsvolles Lächeln, dann ein Kommentar. Dann ein Kommentar auf den Kommentar. Dann eine Beschwerde. Dann eine Anschuldigung, dann eine Beleidigung. Zwischendurch vielleicht eine vulgäre Geste oder auch ein Kuss auf die Hand…
Ich ziehe eine Grenze. Ich baue eine Mauer. Ich fliehe auf einen Turm mit Graben und Stacheldraht. Schließe mich ein. Öffne nie wieder die Tore. Lasse mein Haar auch nicht aus dem Fenster. Es nützt nichts. Wir atmen immer noch dieselbe Luft. Wir sitzen im selben Bus. Wir kaufen dieselben Kartoffeln.
Sie sind überall. Immer. Diese Blicke. Da fängt es nämlich an.2
Ja, und vielleicht reagiere ich manchmal erniedrigend auf Kommentare, die eigentlich nur unschuldig die Farbkombination meines Outfits loben wollen. Aber vielleicht ist es viel erniedrigender zu akzeptieren, auf offener Straße kommentiert werden zu dürfen.
So werden Steine gesetzt. So werden Pyramiden gebaut. So werden Wege geebnet. So werden Schritte gegangen. Und auf einen Schritt folgt zwangsläufig der Nächste.
Der nachfolgende Teil des Absatzes bedarf einer Content-Warnung, da eine sexuell übergriffige Tat geschildert wird. So werde ich nie den Schritt jenes Mannes in der S-Bahn vergessen, dessen Unterleib in vergilbten, fleckigen, weißen Shorts steckte – sein Blick, seine wixenden Hände, sein erigierter Peniiiiiihhhss auf mich fixiert.
Ich schreibe diesen Text auf dem Rückweg eines Fotoshootings der Stadt Trier für die Kampagne des am 25.11. stattfindenden Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen* und Mädchen.
Dresscode: Orange.
Alle sind orange gekleidet, bis auf die vielzählig erschienenen, dunkelblau uniformierten Polizist*innen, die ebenfalls für diese Kampagne posierten.
Das könnte ich so stehen lassen. Habe ich auch. Denn ich bin gegangen.
Vielleicht nicht direkt gegangen, aber ich habe meine Sonnenbrille aufgesetzt und mich hinter andere gestellt. Mit so etwas möchte ich eigentlich nicht in Verbindung gebracht werden. Ich hätte mich trotzdem gerne getraut, sie zu fragen, ob sie denn auch gewaltfrei seien…
Was tun diese Leute denn tatsächlich, um gegen Gewalt zu wirken? Symbolisch die flache Hand für ein Foto auszustrecken reicht definitiv nicht aus, wenn sie den Aussagen von Überlebenden nicht trauen wollen. Sie müssen sich erst noch beweisen. Sie werden dazu veranlasst, ihre Wunden zu zeigen. Sie werden gezwungen, sich erneut unfreiwillig auszuziehen. Nur damit ihnen am Ende niemand glaubt.3
Ich sach ma‘ so. Is‘ nich‘ schön, aber wat willste machen?
Let’s fetz. STEP BY STEP
Tatsächlich können wir sehr viel machen! Angefangen dabei, das eigene Verhalten zu reflektieren und Umstände nicht als gegeben zu akzeptieren.
Was kann schon ein Individuum aktiv gegen systematische Gewalt an weiblich gelesenen Personen unternehmen? Es wirkt so erschlagend. Wie soll es möglich sein, tief verwurzelte gesellschaftliche Probleme zu bereinigen?
Die Räumungsarbeiten können zuallererst das eigene Umfeld betreffen. Ein Raum, der für jede/n erreichbar und mehr oder weniger stark beeinflussbar ist. Zum eigenen Umfeld gehört übrigens auch das Selbst.
Ihr haltet den Besen durch das Lesen dieses Textes bereits in der Hand. Vielleicht fehlt es zu Beginn noch an Selbstbewusstsein, etwas zu sagen. Das Kehrblech liegt aber bereit. Deshalb schlage ich vor: Geht auf die Straße (sowieso!) und schaut euch einfach mal um.
Seht ihr, wie Männer FLINTA-Personen hinterhergaffen?
Nehmt es wahr! Schaut nicht weg. Blickt direkt hin.
GAFFT EINFACH MAL ZURÜCK!
Ein kleiner Schritt nur. Ein Blick. Eine Gewaltstruktur entlarvt. Durch eure Aufmerksamkeit fangt ihr sie auf. Greift jetzt nach ihr (optional: benennt sie) und kloppt sie in die Tonne! Für alle umsetzbar. Seine Taten werden dadurch bewusst wahrgenommen. Eine Bewusstseinserweiterung also ;). Es löst bei dem ursprünglichen Gaffer ein Unwohlsein aus. Es bringt ihn dazu, zu erkennen, dass er sich so nicht zu verhalten hat. Dass er sich so nicht verhalten kann!
Die Gesellschaft ist Zeugin. Sie nimmt es nicht mehr hin.
Sie sieht zu.
Sie verurteilt.
- https://www.onebillionrising.de/femizid-opfer-meldungen-2025/ https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/kurzmeldungen/DE/2024/11/lagebild-gewalt-gg-frauen.html ↩︎
- Ich möchte betonen, dass es falsch wäre anzunehmen, dass Blicke der einzige Anfang sind. Ein jahrhundertealtes, systematisches Problem kann und darf nicht auf einen alleinigen Ursprung reduziert werden. Gewalt ist interdisziplinär zu betrachten. So bildet “der Blick” nur einen von vielen Anfängen ab. ↩︎
- Die Polizei verkörpert und festigt ein institutionelles Ungleichgewicht. Der Umgang der Polizei mit Überlebenden ist Teil der Rape Culture. In vielen Fällen werden Überlebende durch polizeiliche Verfahren (re-)traumatisiert.
Weiterführende Literatur:
Not that bad: Dispatches from Rape Culture, edited by Roxane Gay;
Die Stille Gewalt, Asha Hedayati;
folgendes Buch thematisiert zwar nicht direkt Gewalt an Frauen, zeigt aber sehr gut auf wie die Polizei arbeitet:
Der Tag an dem ich sterben sollte, Said Etris Hashemi ↩︎

